Menschen werden wegen ihres Andersseins verachtet – sei es die andere Hautfarbe, die andere Kleidung, die andere sexuelle Orientierung oder die andere Einstellung zu Gewalt. Der Mord am Kasseler ...

Menschen werden wegen ihres Andersseins verachtet – sei es die andere Hautfarbe, die andere Kleidung, die andere sexuelle Orientierung oder die andere Einstellung zu Gewalt. Der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke zeigt, wie nah Verachtung und Vernichtung beieinander liegen. Mit der Vernichtung ist hier nicht Schluss: Im Internet wird das Opfer und seine Familie offenbar weiterhin verschmäht. Ist die Gesellschaft Schuld? Wodurch verroht eine Gesellschaft? Sicherlich auch dadurch, dass Politiker von Parteien, die eigentlich hinter unserer Verfassung stehen, sich Argumente von bedenklichen Parteien zu Eigen machen, um ihnen Wähler abzunehmen. Fragwürdige Argumente werden so gesellschaftsfähig. Oder liegt die Schuld beim Einzelnen? Die größte Flüchtlingsfeindlichkeit findet man dort, wo es fast keine Flüchtlinge gibt. Wenn Jesus sagt: „Wer euch verachtet, der verachtet mich“, dann wird eine Grundstruktur der Verachtung deutlich: Verachtung bezieht sich nie nur auf ein Individuum. Wer Flüchtlinge verachtet, der verachtet offenbar auch Andersdenkende – ich habe den Verdacht – auch sich selbst. Auch eine verrohte Gesellschaft bringt mich nicht dazu, andere zu verachten. Auch diejenigen nicht, die für alle möglichen Menschen nur Verachtung haben. Für diese Menschen empfinde ich eher Mitleid.