Jena. Nackte Körper als Königsdisziplin: Ein Zeichenzirkel an der Uni Jena widmet sich der Aktmalerei. Die künstlerischen Abbilder der Modelle sind vielfältig.

Etwa 20 Männer und Frauen sitzen im Halbkreis zusammen. Sie haben Zeichenblöcke vor sich. Niemand sagt etwas, alle arbeiten hochkonzentriert an ihren Kunstwerken. Sanfte Melodien durchdringen die Stille im großen Saal der Mensa am Philosophenweg.

In der Mitte des Stuhlkreises liegt eine junge Frau auf einer dunkelblauen Decke. Der Kopf des Modells ruht leicht erhöht auf einem weinroten Kissen. Ihre rotbraunen Locken sind mit einer schwarzen, glänzenden Spange nach oben gesteckt. Das Besondere: Sie posiert vollkommen nackt.

Das Zeichnen des nackten menschlichen Körpers gilt unter Künstlern als Königsdisziplin: „Es ist eine große Herausforderung und verlangt ein hohes Maß an Beobachtungsgabe, Konzentration und Kreativität“, sagt die freie Künstlerin Astrid Leiterer. Seit 2005 leitet sie den Aktzeichenzirkel, der sich nicht nur an Studenten richtet, sondern Kunstinteressierten jeden Alters offen steht.

Eine Viertelstunde ist vergangenen. „Zeit für eine Pause“, ruft die Kursleiterin. Das Modell steht auf und wirft sich einen seidenen Morgenmantel über. Nach und nach legen die Anwesenden ihre Zeichenutensilien nieder. Einige finden sich zum Gespräch zusammen, andere trinken einen Kaffee oder genießen kleine Snacks. Ein junger Mann bleibt sitzen und betrachtet sein Kunstwerk. „Regelmäßige Pausen sind vor allem für die Modelle wichtig“, sagt Astrid Leiterer. „Die ganze Zeit dieselbe Pose zu halten, kann sehr anstrengend werden.“

Das Modell wirkt entspannt. Die 21-jährige Franzi studiert Kunstgeschichte und Filmwissenschaft an der Friedrich-Schiller-Universität. Das Posieren als Aktmodell sei keineswegs befremdlich: „Im Studium beschäftige ich mich viel mit künstlerischen Darstellungsformen und Nacktheit spielt in der Kunst schon immer eine große Rolle. Sonst bin ich immer Betrachterin. Heute stehe ich mal auf der anderen Seite.“

Ihre Gage von 30 Euro für zwei Stunden wird durch die Teilnahmegebühr der Künstler beglichen. Zudem wird der Zeichenzirkel, der im nächsten Jahr sein 20-jähriges Bestehen feiert, finanziell vom Studierendenwerk Thüringen unterstützt.

Während der Pause verabschiedet sich der 32-jährige Fraga. Der gebürtige Portugiese lebt seit 2011 in Jena und nimmt regelmäßig nicht nur als Künstler am Zirkel teil, sondern steht selbst auch Modell: „Das war einer meiner ersten Jobs“, sagt der ausgebildete Goldschmied. Die während des Kurses entstandenen Zeichnungen übertrage er in seinem eigenen Atelier in Öl auf Leinwand oder fertige Linolschnitte an. Ein Künstler mit Leib und Seele.

Die Pause ist vorüber. Erneut kehrt Stille ein. Franzi setzt sich, den Kopf leicht gesenkt. Ein Bein hat sie angewinkelt, das andere darunter verschränkt. Die künstlerischen Abbilder der jungen Frau, die an diesem Abend entstehen, sind vielfältig und machen deutlich, dass Schönheit im Auge des Betrachters liegt.