Jena. Experiment des Instituts für Anatomie in Ernst-Haeckel-Ausstellung im Stadtmuseum – Bewertung von Kunst analog und digital

Was macht eigentlich Schönheit aus? Und warum empfinden manche Menschen etwas schön und andere nicht? Oder: Wirkt ein Kunstwerk anders auf Menschen, wenn sie es auf dem Bildschirm eines Computers betrachten oder original in einer Ausstellung?

Alles Fragen, mit denen sich die Arbeitsgruppe Experimentelle Ästhetik am Institut für Anatomie der Friedrich-Schiller-Universität beschäftigt. Es sind Fragen an der Schwelle, wo sich Kunst und Wissenschaft begegnen. Und genau deshalb zog es den Dozenten Gregor Hayn-Leichsenring vom Anatomie-Institut, wo er die bereits genannte Arbeitsgruppe leitet, ins Jenaer Stadtmuseum, wo noch bis zum 11. August die Ausstellung „Kunstformen der Natur“ anlässlich des 100. Todestages von Ernst Haeckel (1834-1919) bewundert werden kann.

Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Kunst

„Gerade Haeckel war ein Wissenschaftler, der sich wie kaum ein anderer an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Kunst bewegt hat und wunderschöne Zeichnungen von Organismen des Meeres hinterlassen hat“, sagt Hayn-Leichsenring. Da sei es kein weiter Weg für ihn ins Stadtmuseum gewesen, um hier ein Experiment durchzuführen, zumal er beim Kurator der Jenaer Kunstsammlung, Erik Stephan, offene Türen fand. Denn auch für ihn ist es überaus interessant, wie Menschen reagieren auf Kunst.

So waren gestern wieder vier Probanden in der Ausstellung und begutachteten 30 von Hayn-Leichsenring auserkorene Werke – 15 von Ernst Haeckel und weitere 15 von den anderen fünf Künstlern, die in der Ausstellung derzeit ihre naturnahen Werke präsentieren. Neben Haeckel sind das Mark Dion, Jochen Lempert, Eva-Maria Schön, Nora Schattauer und Robert Seidel.

Zuerst werden die Werke in der Ausstellung betrachtet und dann gleich danach am Bildschirm. Später erfolgt noch eine Ansicht unter Laborbedingungen am Institut für Anatomie. Dazu sollen die Probanden jeweils eine Bewertung abgeben, sagt Hayn-Leichsenring. Dann könne die Auswertung erfolgen. Der Dozent hofft, dass dies dann in gut einem Jahr als wissenschaftliche Publikation veröffentlicht werden kann. Im Übrigen rechnet er fest damit, dass es bei der Bewertung Unterschiede geben wird. Nahe liege es schon, dass das originale Werk in der Ausstellung tiefere Eindrücke bei den Betrachtern entstehen lassen werde. Andererseits könnten am Bildschirm ja manches Detail oder ganz spezielle Wirkungen besonders zur Geltung kommen. Man könne auf jeden Fall gespannt sein.

Das Experiment, bei dem bis zu 60 Studenten als Probanden einbezogen werden sollen, ordnet sich ein in die Grundlagenforschung zur Ästhetik am Anatomie-Institut. Es gebe auch schon viele Resultate von Ästhetik-Forschungen, weiß Hayn-Leichsenring zu berichten. Zum Beispiel zu der Frage, wie und wann Gesichter als besonders schön empfunden werden. Dabei habe sich ergeben, dass Gesichter mit total perfekter Symmetrie als nicht so schön wahrgenommen werden wie Gesichter, die leichte Unsymmetrien aufweisen.

Auch der Fakt, warum Menschen eine Sache als tolle Kunst wertschätzen, obwohl es sich vielleicht nur um ein Stück Papier mit ein paar Linien darauf handeln würde, das nicht mal zehn Cent teuer wäre, sei ein Phänomen, meint der Ästhetikforscher. Hier reagiere der Mensch anders als ein Tier. Der Mensch gewinne über sein ästhetisches Empfinden zusätzlichen Nutzen aus ursprünglich nutzlos erscheinenden Dingen. Das sei ein Feld, auf dem weitere Forschungen nötig seien.

Die Ausstellung im Stadtmuseum, die ergänzt wird durch eine Ausstellung über Ernst Haeckel und sein Arbeits- und Lebensumfeld ab 1861 in Jena, vermittelt ein anschauliches Bild vom Künstler Haeckel. Ab 1860 zeichnete er von seinen Forschungsreisen viele von ihm mikroskopisch untersuchte Organismen wie Quallen, Seesterne oder primitive Krakenarten. Später fertigte er prachtvolle Bilder dieser Naturschönheiten an, die im Malstil beeinflusst waren vom Jugendstil. Hierbei arbeitete Haeckel mit dem Jenaer Lithographen Adolf Giltsch zusammen, der hin und wieder auch korrigierend eingriff.

Zu großer Berühmtheit brachte es Haeckels Darstellung der „Desmonema annasethe“, einer bunten und feingliedrigen Qualle. Mit deren Namen brachte Haeckel auch seine Verehrung für seine früh verstorbene erste Ehefrau Anna Sethe auf ganz besondere Weise zum Ausdruck.

Ausstellungen zum 100. Todestag von Ernst Haeckel „Kunstformen der Natur“ und „Haeckel on stage“, Dienstag, Mittwoch, Freitag 10-17 Uhr, Donnerstag 15-22 Uhr, Samstag/Sonntag: 11-18 Uhr