Jenas Amtsärzte sehen sich als Stadtentwickler

Thomas Stridde
| Lesedauer: 4 Minuten
Gesundheitsamts-Chefin Enikö Bán (links) und ihre Kollegin Anne-Marie Höfer, Hygiene-Fachkraft im Amt, reden über das Vorbereiten einer Blutentnahme.

Gesundheitsamts-Chefin Enikö Bán (links) und ihre Kollegin Anne-Marie Höfer, Hygiene-Fachkraft im Amt, reden über das Vorbereiten einer Blutentnahme.

Foto: Thomas Stridde

Jena.  Sonntag ist bundesweit „Tag der Gesundheitsämter“. Die Stadt fühlt sich im Thüringen-Vergleich gut positioniert.

Auch das Jenaer Gesundheitsamt gehört „wieder in ein richtiges Licht“ gerückt. Das sagte Jenas Sozialdezernent Eberhard Hertzsch (parteilos) vorm morgigen deutschlandweit herausgestellten „Tag der Gesundheitsämter“. Denn irgendwie schräg: Vor der Pandemie und abseits der Flüchtlingskrise führe das Amt in der öffentlichen Wahrnehmung völlig zu Unrecht „ein Mauerblümchen-Dasein“, sagte Hertzsch. Umso mehr sei er froh, dass Jena auch in den schwierigen letzten Monaten immer seine amtsärztlichen Aufgabe erfüllen und zum Beispiel immer die Schuluntersuchungen sicherstellen konnte. „Das ist in Thüringen keine Selbstverständlichkeit.“ Ein wichtiger neuer Rahmen sei der Öffentliche Gesundheitsdienst-Pakt (ÖGD) für die bessere Vorbereitung auf Pandemien und gesundheitliche Notlagen; hier erwartet die Fachwelt ein ÖGD-Gesetz. Amts-Chefin Enikö Bán und ihr 44-köpfiges Team erfüllen in sechs Fachbereichen gesundheitsamtliche Aufgaben.

Dass beim Wasser nichts aus dem Ruder läuft

Der Dezernent richtete den Blick zum Beispiel auf das „Teams Hygiene“. Es habe schon wegen der aktuell ausgesprochen vielen Jenaer Trinkwasser-Baustellen ordentlich zu tun und sicherzustellen, „dass Grenzwerte nicht aus dem Ruder laufen“, sagte Hertzsch. So sei das hiesige Trinkwasser im Umkehrschluss oft hochwertiger als das, was in Flaschen gekauft werde. Enikö Bán lobte das Team wegen seiner „Multidisziplinarität und Fachlichkeit“ als „thüringenweit unübertroffen“. Allein drei Personen, darunter eine Hygiene-Ingenieurin, würden sich mit Trink- und Badewasser befassen und könnten von großem Fachwissen zehren. Als besonders nachhaltig beschrieb Enikö Bán das von Jena und 19 weiteren deutschen Städten gemeinsam getragene Pilotprojekt zur Abwasseranalyse, das auf eine Früherkennung von Fallzahlen während der Corona-Pandemie angelegt war und rechtzeitige Maßnahmen ermöglichen soll. Absehbar sei die Übertragbarkeit auf andere Keime in europaweiter Dimension, wie Enikö Bán erläuterte.

Gegen resistente Keime

Mit Genugtuung schauten Eberhard Hertzsch und Enikö Bán auch auf das seit zehn Jahren vorangetriebene MRE-Netzwerk. MRE steht für „Multiresistente Keime“. Mittlerweile 20 Partnereinrichtungen wie Krankenhäuser, Rettungsdienste und Pflegeheime sind hier eingebunden mit einem alle zwei Jahre neu zu erwerbenden Qualitätssiegel zur „Basishygiene“. Dazu würden Standards gehören wie das Nichttragen von Schmuck oder die ausgeschlossene direkte Nachbarschaft von Unkleidekabine und Patient. Auch sei die Kommunikation viel besser bei Patienten-Verlegungen, indessen sonst oft nicht früh genug über bestehende MRE-Infektionen informiert werde.

Therapieplätze fehlen

Seit vier Wochen, so berichtete Dezernent Hertzsch, vertrete er die Stadt im Sozialpsychiatrischen Beirat des Freistaats. Das sei ihm wichtig wegen der hiesigen Erfahrungen des Sozialpsychiatrischen Dienstes, dieser „Mischung aus Sozial- und behördlicher Arbeit“, wie Hertzsch sagte. Er sprach dazu den wegen der Grundrechte „höchst komplizierten Vorgang“ des Psychiatrie-Einweisens von Menschen an, die „in schuldausschließendem Zustand“ etwa nach Suizid-Versuch oder unter starkem Suchtmitteleinfluss vorgefunden wurden. Fast immer würden die in solchen Fällen eingebundenen Fachmediziner auf den Mangel an Therapiemöglichkeiten hinweisen. Gleichwohl werde gemeinhin „diese Geschichte unterbewertet“, sagte Hertzsch. Dabei träfen sich halbjährlich Stadt, Polizei und Psychiatrie, „um solche Fälle zu kanalisieren“.

Was die Jenaer krank macht

Spannender Gedanke: Enikö Bán forderte, dass das Gesundheitsamt mehr eingebunden werden müsse in die Stadtentwicklungspolitik. Schließlich habe ihr Amt auch einen Blick auf die „wichtigsten Faktoren, die die Jenaer Bevölkerung gesundhalten oder Krankheiten bewirken“. Sozialpsychologische Faktoren oder etwa Feinstaubbelastungen oder chronischer Lärm hätten „unglaubliche Effekte auf die Gesundheit“. Noch mehr Gesundheitsberichterstattung – das sieht Enikö Bán als große Aufgabe. Ähnliches lasse sich sagen über die Schuleingangsuntersuchungen. „Bisher haben wir die nur punktuell ausgewertet.“ Sprach-, fein- wie grobmotorische Entwicklungen, Verhaltensauffälligkeiten: „Wie ist das in der Stadt? Das wollen wir deutlich mehr herausarbeiten.“

Aufgaben des Gesundheitsamtes. Amtsärztlicher Dienst: Untersuchungen (samt Leuten im „horizontalen Gewerbe“) und Begutachtungen, Überwachung des Leichen- und Bestattungswesens; Schutzimpungen. Zulassungen von medizinischen Berufen; Schutzimpfungen. Kinder- und jugendärztlicher Dienst: Einschulungsuntersuchung bis zu Begutachtungen zu Teilhabeleistungen. Zahnärztlicher Dienst: Vorsorge in Kindergärten und Schulen. Team Hygiene: Überwachung von Infektionskrankheiten bis Katastrophenschutz. Sozialpsychiatrischer Dienst: Hilfe und Beratung psychisch Kranke und deren Angehörige. Stabsstelle Gesundheitsförderung: Gesundheitsberichterstattung und Gesundheitsplanung.