Beutnitz. Amtstermine gibt es schon einige.

In den Weinballons, die im Haus von Michael Gottschaldt in einer ruhigen Ecke stehen, blubbert es ordentlich. Die Weinhefe erledigt ihre Arbeit, frisst sich durch den Zucker im Obstsaft und wandelt diesen in Alkohol um.

Der Hausherr könnte noch viel genauer beschreiben, was da gerade passiert in den Weinballons, die in diesem Jahr mit Kirschsaft gefüllt sind – für einen Mann, der im normalen Leben Professor für organische Chemie an der Jenaer Universität ist, haben die Prozesse da im Glas keine Geheimnisse. Doch über Zaubermittel verfüge er keineswegs, versichert Gottschaldt. Wie gut der 2019er Kirschwein wird, der im alten Backstein-Haus neben der Schule in Beutnitz angesetzt wurde, entscheide sich erst in einigen Wochen, wenn die Hefen nichts mehr verstoffwechseln können. „Außerdem sind wir immer noch Anfänger, wir probieren noch viel herum mit unserem Wein“, räumt Partnerin Doreen ein.

So auch mit dem Wein von Holunderbeeren, den sie im vergangenen Sommer angesetzt hatten. Etwa zehn Liter Saft hatte die Ernte ergeben, einen Weinballon voll. „15 Flaschen haben wir abgefüllt, und schon beim ersten Verkosten wussten wir, dass es ein ganz guter Wein geworden war“, erinnert sich Hobbywinzer Gottschaldt. „Gut, den können wir bei der öffentlichen Verkostung zur Bornfege ja auch mal einreichen, haben wir da gedacht.“ Und so stand am Bornfege-Sonntag am Beutnitzer Brunnen auf dem runden Verkostungstisch auch eine Flasche Obstwein aus Gottschaldts Haus. Und wie bei dem traditionsreichen Fest üblich, wurden die Weine öffentlich verkostet und bewertet von den Gästen. Am Ende bekam Gottschaldts Holunderwein die besten Noten – und damit hatte der Chemiker, die an der Universität die Forschungsarbeiten im Jena Center for Soft Matter, also funktionale Polymere, koordiniert, ein neues Amt: Michael Gottschaldt ist der neue Bornmeister von Beutnitz. Diese Funktion bekommt übertragen, wer in Beutnitz den besten Wein macht.

Der Bornmeister trägt für ein Jahr die Verantwortung für den Beutnitzer Brunnen, muss für dessen Sauberkeit sorgen – auch wenn heute dessen Quellwasser nicht mehr zur Weinherstellung verwendet wird.

Das Amt und die Wahl und das ganze Drumherum gehören zu den Traditionen, die im ehemaligen Winzerdorf bis heute gepflegt werden. Der Bornmeister muss mit seinen Bornjungfern Doreen und Tochter Hannah seine Heimatgemeinde bei Festen im Dorf und in der Nachbarschaft vertreten. „Den ersten Einsatz hatten wir beim Rosenfest in Dornburg. Bei gefühlten 40 Grad am Umzug teilzunehmen, in der alten Tracht mit den schwarzen Hauben, das war schon harte Arbeit“, räumt Doreen ein. Auch beim Sommerfest in der Nachbargemeinde Löberschütz hatten die drei ihren Auftritt. Noch ein halbes Dutzend Termine, vielleicht werden es noch ein paar mehr, stehen schon im Kalender.

Dass mit Michael Gottschaldt ein Zugezogener das wichtige Amt übertragen bekam, spreche viel für die Gemeinde. „Wir sind erst vor viereinhalb Jahren hierher gezogen in die Scheune, die mein Vater 1980 in Beutnitz gekauft hatte“, berichtet der Bornmeister. „Anfangs diente das Haus als Abstellplatz unter anderem für die Kutsche – Vater war Mitglied im Pferdesportverein – aber auch für die Champignonzucht, die er hier betrieb.“ Später baute der „Scheunendoktor“ das Backsteingebäude zum Wohnhaus um. Da war Sohn Michael mit seiner Familie nur zu Gast. Erst nach dem Tod des Vaters zog der Sohn mit seinen eigenen drei Kindern hier ein.

„Und als ich dann hier wohnte, wollte ich auch in einem Verein mitmachen, und trat dem Bornfegeverein bei“, erzählt er. „Das ist das Schöne hier auf dem Dorf, man wird auch als Zugezogener herzlich willkommen und als Neu-Beutnitzer schnell integriert ins Dorfleben – wenn man das möchte und sich einbringt“, ergänzt Partnerin Doreen. Auch die 16-jährige Hannah kann da nur nicken, sie gehört zum festen Stamm des Jugendclubs, verbringt mit den Jugendlichen viel Freizeit und hat mit ihrer Truppe zum Beispiel einen eigenen Wagen beim Bornfege-Umzug gestaltet.

Die Bornfege, wie Traditionspflege überhaupt, das ist im Gleistal keine Sache der älteren Leute. Da mischen auch die Jungen kräftig mit. Ende 2018 hat der Bornfegeverein drei junge Mädchen aufgenommen, „jetzt gehören praktisch alle Jugendlichen über 18 aus unserer Gemeinde zu unserem Verein, und der hat nun 110 Mitglieder“, freute sich damals dessen Vorsitzender Sven Michaelis.

Was die Tradition des Weinanbaus angeht, so wird die im Hause Gottschaldt auch gepflegt, im Kleinen, nicht mit einem ganzen Weinberg. Aber die Reben am Haus, die Freunde schenkten, tragen vielversprechende Früchte. Und wenn der Kirschwein diesmal so gut wie der Holunderbeerwein wird, dann steht davon vielleicht im Juni 2020 auch eine Flasche auf dem Verkostungstisch am Beutnitzer Brunnen. Michael Gottschaldt wäre nicht der erste Bornmeister, der mehrfach das Amt übernahm.