Jena/Ilmenau. Ein Modellprojekt von Ernst-Abbe-Hochschule Jena, Universität Jena und TU Ilmenau untersucht, wie Studierende und Lehrende der Reizüberflutung trotzen können.

Stress, lass nach! Das denken sich längst nicht mehr nur gestandene Berufstätige, die das Gefühl haben, immer mehr Arbeit in immer weniger Zeit bewältigen zu müssen. Das denken sich immer häufiger auch Studenten und Lehrkräfte. Professor Mike Sandbothe von der Ernst-Abbe-Hochschule Jena ist sogar davon überzeugt, dass ein Student heute mehr Stress hat als ein durchschnittlicher Arbeitnehmer. Dabei resultiert der wachsende Stress nicht allein aus der europaweiten Vereinheitlichung von Studiengängen – Stichwort: Bologna-Prozess – , die den Effizienzdruck vor allem für jene Studiosi erhöht hat, die nebenher jobben müssen.

Der Stress nimmt vor allem auch infolge der digitalen Reiz- und Informationsüberflutung zu.

Forschungsprojekt untersucht Strategien gegen Informationsflut

Wenn es rund um die Uhr aus allen Rohren mailt, twittert und newslettert – wie soll man sich dann noch auf eine Aufgabe konzentrieren? Wie soll man unter Dauerdruck und Dauerfeuer fokussiert bleiben – und vor allem körperlich und mental gesund? Das, beziehungsweise Strategien gegen die Informationsflut untersucht das zweijährige Forschungsprojekt „Achtsame Hochschule in der digitalen Gesellschaft“, das die Ernst-Abbe-Hochschule und die Uni Jena gemeinsam mit der TU Ilmenau gestartet haben und das zum Jahresende ausläuft. Ziel des von Professor Sandbothe geleiteten Projekts war und ist es, herauszufinden, ob Angebote wie Sitz- und Gehmeditation, Qi Gong oder Atemübungen, die durchaus auch in Lehrveranstaltungen eingebaut werden können, Studenten, Wissenschaftlern und Hochschulmitarbeitern dabei helfen, besser zu leben, zu lernen und zu arbeiten. Der Anblick von Yogamatten und Meditationskissen in Hörsaal und Seminarraum mag zwar (noch) gewöhnungsbedürftig sein. Aber ohne der Abschlussbilanz vorgreifen zu wollen, lässt sich jetzt schon sagen: Die, die bewusst Zeiten für Stille und Entspannung in ihren Alltag einbauen, stellen positive Veränderungen fest. Bei Probanden hat sich der Stress tatsächlich spürbar verringert.

Mike Sandbothe ist Ko-Leiter des Thüringer Modellprojekts
Mike Sandbothe ist Ko-Leiter des Thüringer Modellprojekts "Achtsame Hochschulen" in der digitalen Gesellschaft und leitet das Innovationsprojekt "Gesundes Lehren und Lernen" (GLL) an der Ernst-Abbe-Hochschule Jena. Foto: Peter Mimietz

Sie setzen gezielter kleine Pausen, sind konzentrierter und kreativer, haben ein besseres Körpergefühl und lernen die kleinen Dinge des Lebens mehr zu schätzen. Und das ist nicht nur ein diffuses Gefühl: Die Probanden, die die Kursangebote jeweils acht Wochen lang nutzten, wurden auch befragt und auf freiwilliger Basis untersucht. Dabei zeigte sich unter anderem anhand von EKG, Fingerpuls und Atmung, das sich bei ihnen der Stress im Vergleich zu einer Kontrollgruppe tatsächlich spürbar verringert hat.

Die Besonderheit des Modellprojekts, dessen Gesamtkosten von 600.000 Euro sich die Krankenkasse AOK Plus (zur Hälfte) sowie das Thüringer Wissenschaftsministerium und die drei beteiligten Hochschulen (je ein Viertel) teilen, liegt nicht so sehr im Nachweis der positiven Wirkung von Achtsamkeitsangeboten, vor allem in den speziell auf den Hochschulalltag und die akademischen Strukturen zugeschnittenen Formaten.

Das von dem amerikanischen Medizinprofessor Jon Kabat-Zinn entwickelte Programm zur Stressbewältigung wurde speziell angepasst und um Aspekte wie achtsame Prüfungsvorbereitung und achtsames Lesen erweitert. Genau damit ist Thüringen bundesweit Vorreiter. Für den Erfolg des Projekts spricht, dass sich nicht nur die Unis in Erfurt und Weimar sowie die Hochschule Nordhausen angeschlossen und bislang etwa 2000 Menschen die Kurse erprobt haben, sondern dass auch andere Hochschulen die Idee toll finden: So wollen die Hochschule Osnabrück und die Frankfurt University of Applied Sciences die in Thüringen entwickelten Kursformate testen. Beflügelt von der Resonanz, denkt Professor Mike Sandbothe ganz groß: Er spricht sogar von einer „Alphabetisierung des akademischen Systems für diese Form der geistigen Praxis“.