Erfurt. In der Erfurter Messehalle wurden am Samstagabend beim Ball des Thüringer Sports die besten Athletinnen und Athleten im Freistaat ausgezeichnet. Es war ein Abend, an dem manches ganz anders war.

Sie füllt noch immer ganz allein die große Bühne. Als Kristina Vogel da oben sitzt, im glitzernden Rollstuhl und grellen Rampenlicht, zeigt sich die gemeinschaftsstiftende Kraft des Sports auf ihre ganz eigene Art. Es ist ihr Moment und der des Abends zugleich. Die Ewigkeit des Augenblicks muss diesen unglaublichen Spagat zwischen den Triumphen und Tränen des vergangenen Jahres, zwischen Sternstunden und Schrecksekunden aushalten.

Die Erfurterin meistert ihn mit der unerschütterlichen Souveränität ihres Naturells und der mitreißenden Energie einer großen Sportlerin. „Ich mache das auch für euch“, ruft sie ins Mikrofon, und der Saal verneigt sich auf seine Weise. Minutenlang, mit stehendem Applaus.

Doch dann wischt auch sie, überwältigt von der Zuneigung, eine Träne aus dem Augenwinkel. „Ich hatte nicht erwartet, dass mich das so emotional abholt“, sagt sie. Sechsfache Thüringer Sportlerin des Jahres ist sie nun und hat damit gleichgezogen mit der großen Gunda Niemann-Stirnemann. Ihr wichtigster Sieg aber lässt sich nicht mit Gold aufwiegen. Weil er so viel schwerer fällt. Es ist der Weg zurück, in ihr zweites Leben. „Er dauert viel, viel länger“, sagt die einst beste Bahnradfahrerin der Welt, die immer Ungeduldige, „aber es lohnt sich zu kämpfen.“

Am sportlichen Waagepunkt zwischen Taten und Träumen knüpft dieser siebente gemeinsame Ball von Landessportbund und Thüringer Sporthilfe einmal mehr die Bande zwischen Winter und Sommer, zwischen Abschied und Anfang. Thüringen, ein Wintersportland? Ja, aber.

Auch diesmal dürfen sich die von der großartigen Mariama Jamanka angeführten Helden von Loipe und Eiskanal auf der Bühne ihrer Überzahl sicher sein, wenngleich allein schon die in Mannschaftsstärke direkt vom siegreichen Spitzenspiel gegen Bietigheim „eingeflogenen“ THC-Ballerinas für ein optisches Frühlingserwachen sorgen. Die beiden Hauptkategorien jedenfalls gehen wieder an den Sommer. Neben Kristina Vogel, bei der, wenn man die Bemerkung Franziska Schenks richtig deutet, die Familienplanung offenbar konkret wird, holt sich Goldjunge Thomas Röhler die Krone als Thüringer Sportler des Jahres. Damit gehören zwölf von vierzehn Einzeltiteln der vergangenen sieben Jahre dem Radsport und der Leichtathletik.

Gelegenheit für große Emotionen bietet dieser Abend reichlich, die ein oder andere aber bleibt in Ansätzen stecken. Zum Abschied von Tatjana Hüfner und Andi Langenhan sind deren langjährige Begleiter Wolfgang Scholz und Bernhard Glass gekommen – als Überraschungsgäste, doch nicht wirklich überraschend. Wie es überhaupt zu den großen ungelösten Rätseln eines jeden solchen Balls gehört, das anwesende sportliche Helden-Reservoir würdig und umfassend zu offenbaren. Mit Elisabeth Pähtz bleibt immerhin eine leibhaftige, amtierende Europameisterin (und Umfrage-Vierte) inkognito und unerwähnt.

Ein Hauch Zukunft wirbelt mit den akrobatischen Welt- und Europameistern von DDC aus Schweinfurt in die Erfurter Messehalle. 2024 in Paris soll Breakdance olympisch werden. Sozusagen als meditatives Pendant öffnet später der im lakonischen Wortwitz an seinen großen Landsmann Emil erinnernde Claude Criblez seinen Flugzoo. Der Schweizer sagt nur wusch, und ein fliegender Fisch schwebt in einer Wolke weißen Rauchs über den Köpfen des Publikums. Das staunt still und gebannt und bestätigt die alte Erkenntnis, dass die einfachsten Spielzeuge oft die besten sind.

Zumal das Schauspiel wie ein Gleichnis über dem Abend liegt. Ein Abend, der nicht ganz die Höhe und Leichtigkeit des ferngesteuerten Zeppelins erreicht. Dafür gibt es Gründe. Einen Wechsel am Mikrofon etwa, das sich Franziska Schenk erstmals mit Frank Stuckatz teilt, der wiederum bei seiner Premiere die von Peter Rüberg hinterlassenen großen Schuhe erst einmal einlaufen muss. Oder: Die gefühlt wieder spürbar länger gewordene Zeit für Ehrungen, die aus der Nacht mehr Gala statt Ball macht. Der kommt als solcher spät zu seinem Recht. Dann, als Annred erst in der letzten Stunde des Tages zum Tanz bittet. Die vorzügliche Band wiederum macht es anfangs sowohl dem heimlichen Schlagerliebhaber Erik Lesser als auch dem bekennenden Tanz-Eleven und LSB-Präsidenten Stefan Hügel mit schnellen, modernen Rhythmen zugegeben nicht ganz einfach.

Und es gibt die andere Wirklichkeit, die noch ungemütlicher ist als eine glatte Tanzfläche: die des publik gewordenen Dopingskandals, der wie ein unsichtbarer, ungebetener Gast im Raum steht. Ein Gast, dem man nicht ohne Weiteres die Tür weisen kann, weil er nicht so leicht zu fassen ist.

Das Gewissen der Veranstalter hat sich für die Offensive entschieden, gleich die ersten Reden führen, sichtlich politisch-korrekt bemüht, geradewegs darauf hin. Eisschnellläufer Pat-rick Beckert steht mutig seinen Mann und bezieht am Mikrofon Stellung. Später ist das Thema entschwunden wie der Rauch aus dem Schweizer Flugzoo. Irgendwann muss es irgendwo wusch gemacht haben.

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