Zwickau. Erst der Trabi, dann 28 Jahre lang der Golf. Im VW-Werk Zwickau steht jetzt die letzte Verbrenner-Linie still. Der größte Autohersteller der Welt macht damit in Sachsen einen wichtigen Schritt in Richtung E-Mobilität. Manch einem geht der Umbruch aber auch allzu schnell.

Dirk Greifeld ist hin- und hergerissen. Kompletter Umstieg auf Elektroautos - das ist die Marschroute, die VW für das Werk Zwickau festgelegt hat. Der sächsische Standort spielt dabei eine Schlüsselrolle in der weltweiten Strategie des Konzerns. Doch auf den letzten Golf Variant, der hier am Freitag vom Band rollt, blickt der Fertigungsleiter auch mit einem weinenden Auge.

Es ist das Ende einer Ära nach 116 Jahren Verbrenner-Produktion in der Automobilstadt. Der vollelektrische ID.3 soll nun eine neue begründen. "Letzten Endes ist das unsere Zukunft", sagt Greifeld. "Aber klar, ein wenig Wehmut ist dabei, ähnlich wie beim letzten Trabant." Seit 1991 arbeitet der heute 59-Jährige inzwischen bei Volkswagen - vor der Wende montierte er noch das DDR-Kultauto.

Der Autopionier August Horch begründete 1904 die Zwickauer Tradition. Sie brachte neben Horch ebenso Audi und später den Trabi hervor, der von manchem auch als "Stinker" bezeichnet wurde. Bald soll alles weitgehend emissionsfrei und geräuschlos sein. "Ab jetzt steht der Standort Zwickau ganz im Zeichen der Elektromobilität", so Reinhard de Vries, Geschäftsführer Technik und Logistik bei VW Sachsen.

Am Montag beginnt der weitere Umbau, damit bis zum Jahresende eine zweite Montagelinie für E-Autos fertig ist. Im November 2019 hatte VW die Serienproduktion des ID.3 in Zwickau gestartet. Aktuell bauen die Werker täglich 270 Exemplare in drei Schichten. Der reine Stromer, der ab der zweiten September-Woche nach Verzögerungen bei der Software-Ausstattung in den meisten europäischen Ländern auf den Markt kommen soll, soll eine Serie begründen, die das Massenpublikum anspricht und die Grundlage für weitere E-Modelle bildet.

Insgesamt lässt sich VW die Umstellung hier 1,2 Milliarden Euro kosten. Ab 2021 werden auch zwei Audis, ein weiterer VW und ein Seat als E-Autos gebaut. Bei Vollauslastung der beiden Linien sollen pro Jahr 330 000 Fahrzeuge fertig werden - mehr als zu Verbrenner-Zeiten. Der bisherige Rekord aus dem Jahr 2015 liegt bei 301 000 Autos.

Zwickau ist die erste einer Reihe von VW-Fabriken, die komplett auf E-Produktion umsatteln. In Deutschland folgen in den kommenden Jahren Emden und Hannover, auch in China und den USA werden alternative Antriebe hochgefahren. 2025 soll jedes fünfte im Konzern hergestellte Fahrzeug einen E-Motor haben, entsprechend einer Stückzahl von 2,5 Millionen. Die Gesamtinvestitionen liegen bis 2024 bei 33 Milliarden Euro, davon entfällt ein Drittel auf die Autos der VW-Hauptmarke. Ebenfalls noch 2020 ist der Anlauf des Elektro-SUV ID.4 geplant.

Die E-Neuzulassungen in Deutschland hatten zuletzt zugenommen, noch ist ihr Anteil an der Autoflotte aber relativ gering. Angesichts der Corona-Absatzkrise weitete die Bundesregierung das bestehende Förderprogramm aus. Verbrenner, auch in modernen klimaschonenderen Varianten, wurden jedoch ausgenommen. Dies rief bei Gewerkschaftern, aber auch in Teilen der Industrie und Politik Kritik hervor. Die drei Ministerpräsidenten der "Autoländer" Niedersachsen, Bayern und Baden-Württemberg hatten sich für mehr Kaufprämien ausgesprochen.

"Das ist in erster Linie eine schlechte Nachricht für die vielen tausend Beschäftigten in der Zulieferindustrie", hatte der niedersächsische Regierungschef Stephan Weil (SPD) nach dem Berliner Beschluss gesagt. Er bekräftigte, dass er sich eine Berücksichtigung von Verbrennern im Förderkonzept gewünscht hätte. "Ich fürchte, dass viele Zulieferbetriebe im Herbst in Existenznot geraten werden", erklärte er im "Spiegel". "Spätestens dann ist eine neue Diskussion über einen Impuls für die Autokonjunktur ziemlich wahrscheinlich."

Umweltschützer befürworteten dagegen den Verbrenner-Ausschluss. Nach vorläufigen Daten der Europäischen Umweltagentur (EEA) nahm der CO2-Ausstoß neuer Pkw in der EU einschließlich Großbritanniens, Norwegens und Islands 2019 im Schnitt nochmals zu. "Fahrzeuge ohne oder mit geringen Emissionen müssen in ganz Europa viel schneller zum Einsatz kommen, um die strengeren Ziele zu erreichen", hieß es.

In Zwickau ist die Entwicklung jedenfalls kräftig angeschoben. Um in Sachen E-Mobilität fit zu werden, absolviert die Belegschaft 20 500 Trainingstage. Und die Mitarbeiter der bisherigen Golf-Linie sollen weiterqualifiziert werden, erklärt Betriebsratschef Jens Rothe.

Einer der ersten Verbrenner aus Sachsen rollte derweil still und leise ins Museum. Auto-Enthusiasten bauten den Horch 14-17 PS Tonneau - den ersten in Zwickau produzierten Wagen - originalgetreu nach. Ab 11. Juli ist er in der Sächsischen Landesausstellung zu sehen, die bis zum Jahresende der Industriekultur des Freistaats gewidmet ist.