Frank Quilitzsch über Thüringens ältesten und größten Pflegefall.

Es geht ihm schon lange nicht mehr gut. Im Gegenteil, sein Zustand ist schlecht und wird von Jahr zu Jahr schlechter. Die Trockenheit. Die heißen Sommer. Die milden Winter, die die Bezeichnung Winter gar nicht mehr verdienen. Und die Borkenkäfer, die auf ihre Stunde lauern.

Sie wird kommen. Womöglich schon in diesem Frühjahr, und dann können wir nur beten, dass uns der Wettergott mit einem Kyrill verschont, einem jener mächtigen Stürme, die kranke Bäume reihen- und flächenweise niederknicken!

Der Wald steht schwarz und schweiget? Tja, verehrter Matthias Claudius, noch steht er. Doch er leidet.

Thüringens Förster und ihre zahllosen Helfer kämpfen aufopferungsvoll um den todkranken Patienten. Sie befürchten ein dramatisches Jahr. Die Waldböden und Hauptwurzelräume seien ausgedörrt, konstatieren sie und warnen vor dem Betreten der Wälder. Viele Buchen haben im vergangenen Jahr vor ihrem Absterben noch einmal Samen produziert – ein letztes Aufbäumen. Die Prognose: Wir werden nicht nur massenhaft Buchen, sondern auch Fichten, Lärchen und Kiefern verlieren. Und wenn es nicht gelingt, mit anderen, hitze- und trockenheitsresistenteren Bäumen wieder aufzuforsten, droht uns ein Leben ohne grüne Lunge, ohne Sehnsuchtsziel und schattigen Rückzugsort.

Thüringen ist Waldland. Mehr als ein Drittel unseres Territoriums ist mit Nadel- und Mischwald bedeckt. Noch. Wenn der Wald aber stirbt, was bleibt uns dann? Die schönen Märchen und Sagen...

Gut, dass in Mühlhausen schon fleißig an unserem neuen Touristen-Mekka, dem Bratwurstmuseum, gebaut wird. Wo aber wollen wir dereinst des Thüringer Waldes gedenken? Am Rennsteig? Im Hainich? Oder weit sichtbar auf dem Inselsberg?

Apropos Märchen: Neulich wanderten wir bei Bad Tabarz im Lauchagrund, dort, wo 1950 der Defa-Film „Das kalte Herz“ gedreht wurde. Damals, kurz nach dem Krieg, ging es den Wäldern gut und den Menschen schlecht. Heute ist es umgekehrt. Die Neuverfilmung von 2016 trägt dieser Entwicklung Rechnung. Sie zeigt, wie den Waldgeistern die Kräfte schwinden. Helft uns, flüstern sie.