Gotha. Erfurter Forschungskolleg will historische Perthes-Karten neu lesen.

„… Korn, Reis und Fleisch ist billiger an diesem Orte... Sokoto bildet immer noch einen der am besten versehenen Marktplätze von ganz Central Afrika…“, depeschierte der Afrikaforscher Heinrich Barth im April 1853 auf seinem Weg ins sagenumwobene Timbuktu. 1855 zitierte der Gothaer Geograph August Petermann aus den Briefen des furchtlosen Forschungsreisenden. Seine große Afrika-Expedition lieferte die erfolgreiche Auftaktstory für „Petermanns Geographische Mitteilungen“. Eine Art frühzeitiges Geo-Magazin, das seine abenteuerhungrige Leserschaft mit den aktuellsten Nachrichten aus unbekannten Weltgegenden versorgte.

Über Jahrzehnte hinweg sammelte und kartographierte der Perthes-Verlag, was Forschungsreisende aus Regionen berichteten, die für Europäer „weiße Flecken“ waren: Korrespondenzen, Berichte, Kartenmaterial. Eine überreiche historische Quelle, zu großen Teilen noch nicht einmal ansatzweise tief ausgeleuchtet, die sich das neugegründete Forschungskolleg „Transkulturelle Studien / Sammlung Perthes“ der Universität Erfurt auf besondere Weise vornehmen will. Neben der Kartographie der Meere steht die Geschichte der Afrikaforschung im Fokus.

„Wir wollen das Archiv zum Sprechen bringen“, sagt Historikerin Iris Schröder, die das Kolleg seit Jahresbeginn leitet. Die „Sammlung Perthes“ berge einen großen Wissensfundus über Afrika im 19. Jahrhundert. Doch wenn man diese Quellen wirklich ausloten will, muss man dies gemeinsam mit afrikanischen Partnern tun.

Dass dies nicht nur eine These ist, weiß man an der Universität seit der Kooperation mit der Universität Mekelle in Äthiopien. Man habe dabei auch gelernt, die historischen Äthiopien-Karten neu zu lesen, erzählt die Professorin. Berichte über kleine Siedlungen, größere Verbände, Herrschaftsgebiete: Die Gothaer Kartographen haben immer wieder auch solche Hinweise in ihre Karten einfließen lassen. Lokale Detailinformationen, die in Äthiopien selbst nur mündlich überliefert wurden. Nach Europa gebrachtes Wissen, das durch diese Kooperation nun gewissermaßen zurückgegeben wird.

Das ist eine Seite der Geschichte. Die andere ist der selbstkritische Blick auf koloniale Perspektiven. Denn aus den Karten lassen sich nicht nur Flussverläufe und Höhenlagen herauslesen, sondern auch Verschiebungen im europäischen Afrika-Bild. In der Mitte des 19. Jahrhunderts waren die Karten noch offener, verlassene Dörfer werden erwähnt, Handelswege. Man könnte, so Iris Schröder, von einer Art Ethnografie in den Karten sprechen. Kleine Geschichten, befördert von einer Neugier auf diese unbekannte Welt, die Forschungsreisende wie Heinrich Barth mit seinen Berichten weckten, der diese in Europa unbekannte Welt und ihre Menschen nicht nur entdecken, sondern verstehen wollte. Ein frühzeitiger kultureller Mittler, betont die Historikerin. Der „emphatische Reisende“ wurde er in der Wissenschaft genannt.

In den 70er-Jahren des 19. Jahrhunderts allerding verschwanden die Menschen zunehmend aus den Karten, machen Platz für Informationen über Bodenschätze, landwirtschaftlicher Nutzbarkeit, Siedlungsmöglichkeiten. Aus dem Interesse für die Fremde wurde zunehmend die Frage nach ihrer kolonialen Verwertbarkeit.

Allein von äthiopischen Gebieten warten im Perthes-Archiv rund 5000 Karten auf ihre Neuentdeckung. Ein Teil davon wurde im vergangenen Jahr in Addis Abeba in einer Ausstellung gezeigt. Jetzt sucht man nach Wegen, um dieses Wissen stärker in die Universitäten des Landes zu tragen. Aber das soll nur ein Anfang sein, man hofft in Erfurt und Gotha auf weitere Kooperationen. Zu Gebieten im heutigen Simbabwe, in Tansania, Ruanda, Uganda und Kamerun gibt es in der Sammlung ebenfalls große Bestände an historischen Karten.

Ein wichtiger Schritt, um die Karten einem großen Forscherkreis zugänglich zu machen, werde ihre Digitalisierung sein, kündigt Iris Schröder an. Damit es eine Aufmerksamkeit stiftet, ein Interesse weckt für die Welt, wie sie war und wie sie gesehen wurde. Und dafür, was das über uns erzählt.