Erfurt. Rimski-Korsakows „Märchen vom Zaren Saltan“ nach Puschkin zeigt das Theater Erfurt als russisches Volkskunstensemble.

Das Aha-Erlebnis des Abends ist kurz und nur für drei Figuren nicht ganz schmerzlos: wenn Nikolai Rimski-Korsakow die Hummel fliegen lässt. Dieses Stück ist sehr bekannt und eingängig, und damit das ganze Gegenteil jener Oper, für die es als Zwischenspiel geboren wurde.

„Das Märchen vom Zaren Saltan“ gilt jenseits russischer Gefilde bis heute als Rarität, obwohl ihm der Regisseur Harry Kupfer hierzulande durchaus zum Durchbruch verhelfen wollte: mit vier Inszenierungen zwischen 1962 und 1993, in Stralsund, Weimar, Dresden und Berlin.

Aus einer Mücke hatte Rimski-Korsakow die Hummel gemacht, sowie aus einer Fliege und einer Wespe. In diesem Dreisprung fliegt ein durch Intrige verstoßener Zarensohn bei Puschkin dem Vater entgegen und verpasst der bucklig-bösartigen Verwandtschaft dabei einige Stiche. Die Versdichtung heißt „Das Märchen vom Zaren Saltan, von seinem Sohn, dem berühmten, mächtigen Recken Fürst Gwidon Saltanowitsch, und von der wunderschönen Schwanenprinzessin“. Für eine Oper zu lang, verweist das aber darauf, dass es hier nicht die eine zentrale und letztlich gar keine richtige Hauptfigur gibt.

Das fügt sich einfach so alles mehr oder weniger zusammen: in neun Bildern, die in Kupfers Fassung ein Vorspiel und drei Akte ersetzen. Die spielen sie jetzt auch im Theater Erfurt, wobei sie „Bilder“ nahezu wörtlich nehmen. Zu solchen arrangiert Alexei Stepanyuk sein Ensemble, das Elena Orlova in üppige Märchenfolklore kleidet und mit zweidimensionaler Bilderbuch-Kulisse rahmt.

Traditionelle Bilder und ein ungebrochenes Frauenbild

Der Regisseur und die Ausstatterin aus St. Petersburg sorgen dafür, dass es was zu sehen gibt: zum Beispiel lauter Türme in einer Stadtkulisse ebenso wie auf hohen Hüten, auch große Fische und Boote im Wasser.

Das Programmheft weist zu Beginn und am Ende darauf hin, diese Inszenierung sei eine traditionelle. Das ist sie in der Ästhetik tatsächlich, was auch daran liegen mag, dass sie Teil einer Kooperation mit der Oper Jekaterinenburg werden sollte, die letztlich nicht zustande kam. In Erfurt wirkt sie vor allem traditionell äußerlich: Sie stellt die Oper und jene, die sie bevölkern, vorzugsweise aus. Stepanyuk musste jedoch zwei Wochen vor der Premiere erkrankt abreisen; Elena Orlova und Assistentinnen inszenierten zu Ende. Insofern bleibt unklar, was noch geworden wäre an Zwischentönen und Figurenführung. Geworden ist eine komische Oper nur vom albern glücklichen Ende her, aber so gut wie komplett witz- und ironiefrei. Geworden ist auch ein bruchloses Frauenbild von vorgestern: mit drei Weibern und einem Weibchen sowie schwanengleicher Traumfrau.

Der Zar heiratet Militrissa, eine Art Aschenputtel, vom Fleck weg, weil er zufällig belauschte, sie würde ihm einen „Heldensohn“ schenken. Später lässt er, im Krieg befindlich, Frau und Sohn ins Fass stecken und ins Meer werfen, so wie Danaë und Perseus. Militrissas Schwestern und Tante hatten ihn wissen lassen, sie habe ihm ein Monster geboren.

Neunzehn Jahre später fällt sich das Paar wieder in die Arme: nachdem Sohn Gwidon im Fass schnell zum naiven Jüngling heranwuchs und mithilfe einer Schwanenprinzessin als Fürst einer zauberhaften Stadt aufstieg. „So kann es nur im Märchen gehen“, singt am Ende fast entschuldigend Erfurts Opernensemble, aus dem ein russisches Volkskunstensemble wurde, nur ohne die Seele.

Die verströmt Rimski-Korsakows eher westlich orientierte Musik von 1900 auch kaum. Sie grundiert zwar folkloristisch, koloriert aber kräftig mit dramatisch-fantastischen Stil- und Gestaltungsmitteln nach Belieben. Jenseits des Hummelflugs landet sie im Grunde keinen Stich.

GMD Myron Michailidis navigiert das Philharmonische Orchester aber doch zielsicher durchs große Klangfarbenreich. Sie schwelgen nicht, sie trumpfen nicht auf, sie spielen durchlässig, um die Szene zu tragen anstatt sie fortzuspülen. Ein Landgewinn.

Gleichwohl springen einige Solistenstimmen nur mit Mühe über den Orchestergraben. Namentlich Kakhaber Shavidzes Saltan-Bass kommt dumpf und breiig herüber. Jessica Eccleston und Anastasiia Doroshenko als Militrissas Schwestern sind auch gesanglich sehr blass vor Neid. Mehr Farbe bringt die garstige Tante Babaricha ins Spiel: bei Katja Bildt, eine versoffene Hexe in Violett, die aussieht wie der Tod auf Latschen, aber auch stimmlich böse funkelt. Derweil glitzert Daniela Gerstenmeyers Schwanenprinzessin-Sopran. Und Margrethe Fredheims Militrissa darf sich grundsolide und brav im Lyrisch-Mütterlichen einrichten, während Gwidon bei Brett Sprague mit romantischem Tenor viel Wind macht, aber nicht in Fahrt kommt. „Zar Saltan“ in Erfurt ist ein hübsches Märchenopernmaschinchen, das problemlos und durchaus nicht problembewusst vor sich hin surrt. Sofern die Obermaschinerie im Bühnenhaus mitmacht! Über’n Sommer runderneuert, versagte die Technik in der dritten Aufführung, die hier besprochen wird, zunächst den Dienst. Die Vorstellung begann eine halbe Stunde später, mit dem Hinweis, man werde bis zur Pause wohl halbszenisch-konzertant spielen müssen. Doch dann ging alles glatt sowie in voller Schönheit vonstatten – und auch die letzte Spannung dieses Abends war dahin. Dabei täte ein bisschen Sand im Getriebe sehr gut.

Weitere Aufführungen am Freitag, 25. Oktober, und Freitag, 6. Dezember, um 19.30 Uhr sowie Sonntag, 8. Dezember, 15 Uhr.