Autorin Jana Hensel, die mit „Zonenkinder“ bekannt wurde, erinnert sich an Weihnachten in der DDR.

Es ist verstörend. Der erste Satz in Jana Hensels Erzählung scheint so gar nicht zu einer Weihnachtsgeschichte zu passen: „Er versuchte mich zu küssen, aber es gelang ihm nicht“. Dann wird das Missverständnis aufgeklärt. Die Ich-Erzählerin berichtet von einen gütigen Kuss ihres Vaters, der zu Heiligabend den Weihnachtsmann spielt.

So schnell wird man als Leser in die Geschichte hineingezogen, die auf zwei Zeitebenen spielt. Hauptperson ist Melanie, Übersetzerin und verheiratete dreifache Mutter, im hippen Prenzlauer Berg. Sie spielt im Kindergarten ihres Sohnes den Weihnachtsmann.

Genau da setzt die zweite Zeitebene ein. Melanie trägt das Kostüm des Vaters, mit dem sie als Kind zu Weihnachten unterwegs war. Der Vater brachte die Geschenke, sie war der helfende Wichtel. Und hat die Weisheiten des Vaters verinnerlicht: „Ein Weihnachtsmann benutzt nie die Klingel.“ Nun liegt der rote Mantel in einer Einkaufstüte aus dem „Exquisit“ vor ihr. War das Kostüm so wertvoll? Melanie erinnert sich. Es sind die bleiernen Jahre am Ende der DDR. Melanie hält eine nüchterne Rückschau – ein Leben im Leipziger Süden; die hohen Plattenbauten an der Märchenwiese. Der Vater arbeitet in einer Gießerei. Es herrscht Mangel: „Dass dieses Land vorgab, es wäre das Beste aller möglichen und auf dem Weg, sich dabei noch selbst zu übertrumpfen, muss ihm damals vorgekommen sein, als wollte man ihm weismachen, dass es den Weihnachtsmann wirklich gab.“ Der Mauerfall bringt neue Möglichkeiten, markiert aber auch das Ende der Geschenke-Touren. Jana Hensel, die mit ihrem Buch „Zonenkinder“ bundesweit bekannt wurde, gelingt mit dieser Weihnachtsgeschichte ein ungewöhnlicher Blick auf die DDR. Ein bisschen Wehmut ist dabei, aber dieses Buch ist keine „Sentimental Journey“.

Jana Hensel: Der Weihnachtsmann und ich. Edition Chrismon, 112 S.,12 Euro