Gotha. Der Filmemacher Gerald Backhaus war in sämtlichen Sprachregionen der Heimat unterwegs. Entstanden ist der Dokumentarfilm „Thüringen, Deine Sprache“.

Ein Ehepaar aus Leina, so geht eine Nachkriegsanekdote in diesem Film, fuhr mit der großen Tochter ins nahe Gotha, um einzukaufen. In der Stadt schämte es sich zu Tode, weil‘s Mädel Mundart sprach. Umgehend entschied man: „Das zweite Kind wird hochdeutsch erzogen!“

Eine Seniorin aus der Meininger Mundartgruppe „Motzings Enkele“ erzählt später, wie sie in Kriegszeiten mit der Mutter den Vater besuchte, in der Kaserne von Wetzlar. Sie sprach damals das Hennebergische „wie ein Wasserfall“, verstand aber im Zug all die anderen Leute nicht. Als die Mutter dem Gatten nahelegte, das Mädchen ans Hochdeutsche heran zu führen, haute der auf den Tisch: „Nix da“, soll er gesagt haben, „mir sin kee Fürnehme, mir schwatze Platt!“

Vornehm – das war ein Codewort für standardisierte Sprache, die weniger die regionale als die soziale Herkunft verbergen sollte. Sie drückt den Status aus, gebildet und kultiviert zu sein, in Abgrenzung zum ungeschlachten Bauerntölpel. Mundart als Sprache einfacher Leute, das bewegt sich sehr zwischen Stolz und Scham – und hierzulande auf Letzteres zu. „Wir können alles. Außer Hochdeutsch“ ist kaum zufällig keine ostdeutsche Erfindung. Von einem Bekannten aus Sachsen, der nach Hamburg ging, bekam Gerald Backhaus das Minderwertigkeitsgefühl einmal so berichtet: „Wir kommen hier noch unter den Türken.“

Zugleich harrt die Gegenbewegung aus, die sich unverstellt äußert: „Du quatschst, wie de denkst“, heißt das dann in Saalfeld, oder, im Eichsfeld, „wie uns der Schnabel steht“.

Backhaus, Jahrgang 1969, der dergleichen aufschnappte und einfing, wuchs in Gotha zwar mit dem auf, was die Sprachforschung „regional gefärbte Umgangssprache“ nennt, aber doch dialektfrei. Das letzte bisschen Lokalkolorit schliffen ihm Radioarbeit und Sprecherziehung ab. Als er nach Frankfurt/Main zog, später nach Berlin, „musste ich immer erklären, woher ich komme und warum man das so gar nicht hört“.

Inzwischen begab sich der Filmemacher in sämtliche Sprachregionen der Heimat. Entstanden ist der Dokumentarfilm „Thüringen, Deine Sprache“, der jetzt in Gotha Premiere feierte und, wie sich zeigte, eher „Deine Sprachen“ bedeuten soll.

Dafür steht am Ende auch ein Satz, den man Backhaus am Institut für germanistische Sprachwissenschaft der Universität Jena mit auf den Weg gab. Der Regisseur lässt ihn von mehr als dreißig seiner wohl doppelt so vielen Protagonisten sprechen: „Binde dir ein Kopftuch um, damit du dich bei dem schlechten Wetter nicht erkältest!“ Allein das Kopftuch wird dabei zum Kopptuch, Kopflappen, Kopftüchle, Läpple oder: Meichala.

So zeugt der Film von einem Schatz der Dialekte und Mundarten, der in den Regionen verborgen liegt, wahlweise auch verkümmert. „Während der Dreharbeiten hatte ich häufiger so ein trauriges Gefühl“, so Backhaus, der dennoch ein heiter-optimistisch gestimmtes Werk schuf. Darin beschreibt Alleinunterhalter Hendrik Püschel das Ilmthüringische rund um Weimar, Jena, Rudolstadt: wo sie irgendwann anfangen, „den Unterkiefer außer Betrieb zu setzen, so dass alles quasi nur noch so rausläuft“. Unter jungen Leuten will aber „keene Sau“ Mundart sprechen, denn „das klingt ja furchtboor!“

„Das wird eher aussterben“, glaubt auch der Erfurter Opernchor-Tenor Mark Mönchgesang, der mit der Familie in Haßleben Mundart pflegt; die galt dort einst als „normaler Umgangston“, wie seine Mutter erzählt.

Nebenan, in Ringleben, spricht nur Liane Sänger Mundart, und auch nur dann, wenn „Onkel Otto“ aus Aachen nach Hause kommt: Otto Kühnemund, Jahrgang 1938, Mitautor des Buches „Mundart aus Ringleben am Unterlauf der Wilden Gera im Thüringer Becken“. Die örtliche Pastorin berichtet aus Bottendorf im Kyffhäuserkreis, wo sie zuvor diente, von Mundart als „Seele des Dorfes.“

„Künstlich hochhalten kann man das nicht“, hört man aus Leina bei Gotha, wo die Mundart „nur noch aus Jux und Dollerei“ gepflegt wird, gleichsam als Geheimsprache. „Die Mundart darf Leina einfach nicht verlassen“, sagt indes Johanna Zeng, „die müssen wir weitergeben!“

Dass dieser Zug längst abgefahren ist, erfuhr Backhaus oft. Mühlhäuser Platt ist definitiv ausgestorben, nach dem Zuzug vieler Umsiedler 1945 sowie durch Umbrüche nach 1989. In der nahen Vogtei, in Langula, gibt’s noch Mundart-Reste. Rein museal hält das Altenburger Folkloreensemble, das Backhaus im Bernsteinhof Rositz traf, ostthüringischen Dialekt am Leben, auch mit Spielszenen.

Ähnlich, und doch mit mehr Zukunftsaussicht, geht‘s im Städtchen Ruhla bei Eisenach zu, wo es den Rühler Mundartstammtisch und Theater in „Original Rühler Spraoch“ gibt, und Nachkommen Mundart „wie eine Fremdsprache“ lernen.

Den „Blauen Vogel“ sozusagen schießt indes ein gleichnamiger Kindergarten im Südthüringischen ab, wo es, jenseits des Rennsteigs, ohnehin besser um den Dialekt steht. In Rauenstein wachsen Kinder „bilingual“ auf: mit Hochdeutsch und dem itzgründisch-fränkischen Dialekt.

Dort endet, mit Perspektive, der Bogen, den Backhaus mit drei „Exil-Thüringern“ in Berlin dramaturgisch geschickt zu spannen begann. Weniger geschickt ist, dass er sich selbst zurücknimmt und eine Sprecherin einführt, als sei‘s ein MDR-Beitrag.

Der Film kommt in Teilen gewiss zu spät, wenn es um die Mundart geht; da wird kulturhistorisch ein eher exotischer Schatz gehoben. Zugleich kommt er aber zur rechten Zeit, weil er ganz lebensnah die akut gewordene Frage nach Identität aufwirft: Wo kommen wir her, wo wollen wir hin? Gehen oder bleiben?

Die 2018 und 2019 entstandene Dokumentation „Thüringen, Deine Sprache“ wird nach der Kino-Premiere in Gotha nun andernorts gezeigt. Der Regisseur Gerald Backhaus ist jeweils anwesend :

Sonneberg: Freitag, 12. Juli, 19.30 Uhr, Kino Kammer Lichtspiele (Gustav-König-Straße 22).

Meiningen: Samstag, 13. Juli, 15 Uhr, Kino Casino Lichtspiele (Wettdiner Straße 1 b).

Ilmenau: Samstag, 13. Juli 19.30 Uhr, Kino Linden Lichtspiele (Lindenstraße 20).

Heiligenstadt: 11. Oktober, Altes Rathaus (Ratsgasse 9)..

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