Sondershausen. Mit „Jesus Christ Superstar“ haben die Thüringer Schlossfestspiele in Sondershausen begonnen.

„Paz – Pace – Frieden“: Vielsprachig, universell und so schlicht wie sehnsüchtig utopisch lautet die Botschaft jugendlich Bewegter vor historisch alter Kulisse.

Am Abend, nachdem die Krise am Persischen Golf um ein Haar eskaliert wäre, und ein halbes Jahrhundert nach der 68er-Revolte gegen Vietnamkrieg, (Rassen-)Diskriminierung und den Biedersinn des Establishments demonstriert wieder ein schrill-buntes Völkchen mit Plakaten und Spruchbändern für eine gerechtere, bessere Welt. Dieses Mal sind es nur Sänger, Tänzer und Schauspieler im Lustgarten von Sondershausen. Sie feiern „Jesus Christ Superstar“, das erste Erfolgs-Musical (1971) von Andrew Lloyd Webber, zum Auftakt der Schlossfestspiele.

Ivan Alboresi, Ballettchef und Regisseur in Nordhausen, ist zwar zu jung, um den kultigen Zeitgeist von Jesus People und Hippies aus eigener Anschauung zu kennen, doch startet er hoffnungsvoll damit, die Flower-Power-Kommunarden aus Chor und Extrachor seines Theaters in koordiniert swingende Aktivität zu versetzen. Unterdessen quellen aus den Lautsprechertürmen links und rechts der Open-Air-Bühne eingängig elektrische Gitarrensounds, Bandleader Henning Ehlert macht mächtig Tempo mit seiner im Schloss verborgenen Mannschaft, und prompt hat der Typ mit dem smarten Bärtchen für seinen Auftrittssong den ersten Szenenapplaus weg.

Passionsoratorium an der Schwelle zur Postmoderne

Als Judas Ischariot firmiert Marc Lamberty auf der Liste der Dramatis personae, und wer sich auf die überdimensionierte Dornenkrone als Torbogen, die mannsgroßen Nägel, die auf der Bühne (Dietrich von Grebmer) verstreut liegen, und natürlich den Stücktitel einen Reim macht, bedarf keines Glaubensbekenntnisses, um den roten Faden dieser knapp 2000 Jahre alten Geschichte zu kennen: Tim Rice hat die letzten sieben Tage im Leben Christi wie ein lupenreines Passionsoratorium an der Schwelle zur Postmoderne zum Libretto gefügt.

Nur dass Judas, schon aus dramaturgischen Gründen, auf Augenhöhe zum Gegenspieler des Gottessohns avanciert. Auch die bezaubernde Carolin Schumann als Maria Magdalena – und Braut des engelsgleich blonden, messianischen Pop-Stars – gewinnt bei Webber weit mehr Gewicht als in der tradierten Erzählung der Evangelisten.

Sie hat im Trio der Protagonisten die dankbarste, allein der menschlichen Liebe verpflichtete Partie erwischt und punktet damit beim Publikum. Indessen der junge Tobias Bieri zwar nicht den charismatischen Glanz entwickelt, der ihm als Heiland zustünde, sich jedoch mit Leib und Seele in seine Gesangspartie wirft. Eine ätherische Milde geht stets von ihm aus, wenn er aufwallende Gewalt dämpft und Streitigkeiten – zumal in eigener Sache – abbiegt.

Volksfest der niveauvollen, Gemeinsinn stiftenden Art

Klar, dass derlei euphorisierter, friedlicher Aufruhr die Ordnung stört, und die der römischen Besatzungsmacht hörigen, jüdischen Statthalter befinden im Tribunal unisono von oben herab: „Der Jesus muss weg.“ Kostümbildnerin Anja Schulz-Hentrich hat die Entourage des Pontius Pilatus (Philipp Franke) teils in finster militaristische, teils protzend antikisierte Gewänder gesteckt. Also Schluss mit lustig: Der Leidensweg Christi nimmt, nachdem Judas per Geldkoffer zum Verrat bestochen wurde, nach der Pause seinen unbarmherzigen Lauf.

Da flaut die Intensität spürbar ab. Die selbstverliebte Show-Parodie des Königs Herodes (Marvin Scott) badet bei allem Drang zur Exaltiertheit in doch etwas zu biederem Charme, und die peinliche Befragung des Delinquenten, zumal mittels der neunschwänzigen Katze, geht über die Banalität des Brutalen kein bisschen hinaus. Vielleicht klebt Regisseur Alboresi hier zu eng am Plot und mag sich nicht recht entscheiden, ob er mehr zur revitalisierenden Beschwörung des Zeitgeists in der Nixon-Ära oder zur universellen christlichen Botschaft tendieren soll. Eine plakative Kreuzigung Christi, nicht aber dessen (uns) erlösender Tod bleibt den Zuschauern am Ende erspart.

Trotzdem bieten Alboresi und die Nordhäuser Theaterleute in diesem äußerst personalintensiven Stück auf der Wiese vorm Sondershäuser Schloss ein handwerklich seriöses Sommertheater. Ein neuer Roger Daltrey war nicht zu entdecken, aber auch gar kein Ausfall unter den ungewohnt rockmusikalisch, also ungestützt intonierenden Sängern.

Während man auf den Rängen noch feiert, hat sogar die örtliche Obrigkeit als tourismusfördernde Volte die Wischerblätter zu nächtlicher Stunde falsch parkender Gäste mit bunten Wimpeln geschmückt. Also alles aus Liebe, alles perfekt: Das Volksfest der niveauvollen, Gemeinsinn stiftenden Art – Thüringer Schlossfestspiele genannt – ist eröffnet!

Nächste Vorstellung am Samstag, 29. Juni, 20 Uhr

www.schlossfestspiele-sondershausen.de