Der neue Roman von László Krasznahorkai führt in den Kopf eines eigenwilligen Helden – und in die thüringische Provinz. Der Titel: „Herscht 07769“.

Erst wird ein Brief an Angela Merkel geschickt. Absender ist Herscht 07769. Mehr nicht. Die Geschichte, die nach vielen Schlägen sowie manch grausamem Todesfall in gnadenloser Nacht endet, spielt in Kana mitten in Thüringen und widmet sich hiesigen Zuständen. Wer nachschaut, in welchem kleinen Städtchen unweit von Jena diese Postleitzahl gilt, der hat das Rätsels Lösung: Kahla. Was besagt das schon: Kana klingt auch so ähnlich wie das biblische Kanaan, in dem die Gebeugten, die Gedemütigten, die Verstoßenen und die Unterworfenen lebten.

Ob Lázló Krasznahorkai darauf anspielt? Nun, der Leser muss selbst einen Eindruck gewinnen. Ingo Schulze etwa, hochgelobter Autor, wenn es um hiesiges Befinden geht, ist dieser Florian Herscht, der der Bundeskanzlerin schreibt, als Protagonist ans Herz gewachsen. Er habe gar nicht mehr aufhören können zu lesen, sagt Schulze und sieht sich als Beschenkter. Mir geht es eher so wie Cornelius Pollmer, der in der Süddeutschen Zeitung schreibt: „Formal ist dieser Roman von László Krasznahorkai auch sonst wieder eine herausfordernde Mischung aus Vergnügen und Antivergnügen, allerdings ohne dass beides sich gegenseitig auslöschte. Über die kompletten 400 Seiten von ‘Herscht 07769’ zieht sich ein einziger (!), von Kommata notstrukturierter und doch auch interessant rhythmisierter Satz. So routiniert, wie es eingangs geschrieben steht, so unkommentiert kann man das ‘Aus dem Ungarischen von Heike Flemming’ schon deswegen nicht stehen lassen. Stattdessen möchte man gleich ins reale Porzellanstädtchen Kahla fahren und in Zusammenarbeit mit der örtlichen Gilde einen neuen Preis stiften … Der erste Kahlaer Bandwurm in Gold ginge dann also an Heike Flemming, herzlichen Glückwunsch.“

Weniger euphorisch klingt, was Christoph Bartmann im österreichischen „Falter“ feststellt zum „Thüringen-Szenario dieses Romans“, das sich um den Terror von Kleinstadt-Nazis rankt. „Man kann nicht behaupten, dass es viel Neues und Erhellendes zu bieten hätte oder auch nur bieten wollte“, so Bartmann. Derweil hat Herscht Bachs Kantaten und die Matthäuspassion im Ohr, wenn er sich auf Rache- und Sühnemission begibt.

Bandwurm hin oder her: Schon der Thüringer Bezüge wegen sollte Krasznahorkai hierzulande viele Leserinnen und Leser finden.

  • László Krasznahorkai: Herscht 07769. Roman. Aus dem Ungarischen von Heike Flemming, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2021. 416 Seiten, 26 Euro

Das könnte Sie auch interessieren: