Meiningen. Die Französische Truppe um Jean-Michel Rabeux macht aus „Die doppelte Unbeständigkeit“ von Marivaux eine tödliche Komödie.

„Die Unbeständigkeit“, sagt Flaminia kurz vor Schluss auf Französisch, „muss doppelt sein, damit jeder sein Vergnügen hat.“ Das steht so, soweit ich sehen kann, nicht in der „Doppelten Unbeständigkeit“ von Marivaux. Sie spielen die 300 Jahre alte Komödie, obwohl sie vorgaben, es nicht zu tun, uns vielmehr reingelegt zu haben. Arlequin-Darsteller Hugo Dillon kündigt das Stück eines gewissen Pietro Carletto an. Marivaux, vom italienischen Theater inspiriert, hieß Pierre Carlet.

Jedenfalls folge jetzt, so Dillon, ein wahres Theater der Lüge, wahlweise ein falsches Theater der Wahrheit. So erweist sich La Compagnie, die Truppe um Regisseur Jean-Michel Rabeux, gleich mal selbst als doppelt unbeständig. Das vergnügliche Ende betrifft das jedoch ebenso: Es ist, wie im Grunde alles hier, eine optische Täuschung. Im Stil des Trompe-l’œil entwarf Noémie Goudal auch die Bühne, die, fototechnisch appliziert, Dreidimensionalität vorgaukelt – und entlarvt: Die Elemente machen doppelgeschossige Pfeiler- und Fassadenskelette zum Labyrinth.

Die sechs Figuren, die sich darin zur eigenen Unbeständigkeit des Herzens verirren, traten Mittwoch und Donnerstag auf Meiningens große Bühne, gelegentlich der europäischem Theater geltenden Festwoche. Und sie verteidigten dabei erfolgreich den barocken Komödiendichter der skeptischen Liebe als einen Autor unserer Zeit: als dramatisierte Marivaux jene Soziologie negativer Beziehungen, die Eva Illouz soeben vorlegte („Warum Liebe endet“). Nur, dass sich das Prinzip, subkutan immer danach zu schauen, ob sich nicht was Bess‘res findet, hier nicht als kapitalistisches erklärt; als eine Art Klassenfrage aber eben schon.

In den Prinzen verguckt

„Diese Kinder aus dem Volke kennen sich in der Liebe aus“, glaubt Flaminia (Roxane Kasperski), die im Dienste des Prinzen eben diese Kinder intrigant auseinanderbringt: woraus sie „siegreich und besiegt“ hervorgeht, hat sie doch den Kindskopf Arlequin nicht nur in sich verliebt gemacht, sondern sich selbst verliebt. Der glaubte, seine Landpomeranze Sylvia auf immer und ewig zu lieben. Die aber verguckt sich in den Prinzen, ohne zu wissen, dass er der Prinz ist. Der, ganz auf Besitz bedacht, ließ Sylvia ent- und auch verführen ...

Rabeux verdoppelt in seiner Inszenierung die Verwirrung der Geschlechter so, dass sie gesellschaftlichen Stand und Sexualität zugleich meint. Er überträgt Schauspielerin Claude Degliame den Prinzen, die eine schillernde Hosenrolle spielt. Christophe Sauger sieht als Höfling Trivelin in Tüll und Stöckelschuhen aus, als sei Zaza aus dem Käfig voller Narren in dieses Stück gesprungen. Und die höfische, vor allem aber kokette Lisette, Falminias Schwester (Aurélia Arto), mimt zum Zwecke der Intrige die Rinnsteinpflanze.

Rabeux forciert alle Traurigkeit, allen Schmerz der subtilen Komödie, konterkariert den Spaß mit Grausamkeiten der Fleischeslust (Körper wie das Essen betreffend), verweigert allgegenwärtiger Flüchtigkeit tiefer Gefühle heitere Fluchtwege. Wahlverwandtschaften sind erklärbar, aber nicht auszuhalten – Marivaux’ Happy-End schon gar nicht. Also wird’s eine tödliche Komödie – und modernes Theater par excellence.