Erfurt. Bob Dylan reflektiert in seinem neuen Buch über relevante Lieder der vergangenen Jahrzehnte. Überraschung: Er meint nicht seine eigenen.

Die Erwartungshaltung bei einem neuen Buch von Bob Dylan ist eindeutig: Seit dem ersten Teil seiner Autobiografie „Chronicles Vol. 1“ von 2004 hofft man auf eine Fortsetzung. Der inzwischen mit dem Literaturnobelpreis dekorierte Meister-Poet unter den Musikern legt nun tatsächlich ein neues Buch vor. Es bleibt zwar persönlich, aber es geht vordergründig nicht um His Bobness, sondern um „Die Philosophie des modernen Songs“.

Dylan zeigt anhand von 66 Liedern, was seiner Ansicht nach Relevanz und Einfluss hat – an Musikern und ihrem Werk gleichermaßen. Von den Osborne Brothers über Elvis Presley zu The Clash. Das Wort „modern“ aus dem Titel ist in einem weit größeren Kontext zu verstehen, als den aktuellen Zeitgeist betreffend. Der jüngste Song in Dylans Liste relevanter Lieder stammt von 2004. Der überwiegende Teil jedoch aus den Fünfziger- und Sechzigerjahren, die ältesten wurden in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts geschrieben.

Dylan interpretiert, deutet, verbindet

Der Einstieg in das eigentlich in lesefreundliche 66 kurze Kapitel eingeteilte Buch fällt nicht leicht. Und das liegt nicht daran, dass das Werk, wie der Titel implizieren könnte, ein geisteswissenschaftliches ist. Man muss vielmehr in den Gedanken- und Wort-Flow Dylans reinkommen.

Das Cover des Buches „Die Philosophie des modernen Songs“ von Bob Dylan.
Das Cover des Buches „Die Philosophie des modernen Songs“ von Bob Dylan. © C.H. Beck

Jeder Song wird zuerst situativ beschrieben, Dylan reflektiert aber nicht einfach den Songtext, sondern versetzt sich in die Protagonisten der Lieder, zeigt ihre Sicht. Und erzählt auf diese Weise mehr, als der gesungene Text sagt. Dylan liest zwischen den Zeilen, interpretiert, deutet, verbindet. Wortgewaltig, locker im Ton, aber kundig beschreibt er (vergangene) Alltagswelten und beweist Geschichtsbewusstsein.

Persönliche Ansichten des Autors

Wer sich auf darauf einlässt, erfährt eine gelungene Reise durch die nicht nur musikalischen Jahrzehnte sowie die Hochebenen und Schluchten des Menschseins. In einem zweiten Teil pro Kapitel gibt Dylan profund Auskunft über die Musiker – immer absolut subjektiv.

Auch wenn das Buch keine Lebensbeichte ist, trägt es doch autobiographische Züge. Denn Dylan offenbart in seinen Ausführungen persönliche Ansichten wie die Befürwortung der Polygamie; und immer wieder kommt er auf den Wert von Religion. Das allein ist schon eine kleine Sensation, denn Dylan als sphinxhafte Erscheinung der Pop-Musik ist eigentlich bekannt dafür, wenig von sich preis zu geben.

Es empfiehlt sich in jedem Fall ein internetfähiges Gerät neben dem Buch parat liegen zu haben, um die Entdeckungstour durch die musikalischen Welten auch auditiv nachvollziehen zu können.

Bob Dylan: Die Philosophie des modernen Songs, C.H. Beck, 352 Seiten, 35 Euro

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