Der Chef des Hauses Wettin im Interview.

Eines müsse man direkt vorweg sagen, erklärt Prinz Michael von Sachsen-Weimar-Eisenach: "Ohne 1871 hätte es die beiden Weltkriege, hätte es Hitler nicht gegeben." Punkt. Die Reichseinigung sei insofern schon kritisch zu betrachten. "Man hat alles das geradegebogen, was krumm war, um es passend zu machen."

Die deutschsprachigen Staaten seien ja nicht mit einem Halleluja zu einer Nation verwachsen. Genau das aber, so sagt es der Chef des Hauses Wettin, sei ja auch ein Ziel gewesen. "Es war eine falsche, glorifizierende Hoffnung. So etwas wie eine deutsche 'Grande Nation' hat es ja nie gegeben." 1871 habe viele Extreme zusammengebracht. Auf der einen Seite ein hochverschuldetes Bayern - und hier das schuldenfreie Sachsen-Weimar. "Da degenerierte, exzentrische Fürsten und hier verantwortungsbewusste, verfassten Staatsgebilde", sagt Prinz Michael.

Er verweist auf die Verfassung von Sachsen-Weimar, die 1815 geschrieben und ab 1816 Gültigkeit besaß. "Sachsen-Weimar hatte eine volksdemokratische Identität", fügt er an. Der Wettiner sieht in der Kaiserkrönung von 1871 eher einen Schritt in die falsche Richtung. Die Überlegung, dass die einzelnen Staaten nicht überlebensfähig gewesen wären, sei Unsinn. Die meisten deutschen Staaten seien sozialpolitisch und wirtschaftlich gesund gewesen.

Ein Deutschland im heutigen Sinne wäre also ohne 1871 nicht möglich gewesen - erwachsen aus einer Allianz gegen Napoleon III. "Daraus stellt sich für heute die Frage, ob wir mehr Zentralismus brauchen. Brauchen wir mehr Durchgriffsrechte des Bundes auf die Länder? In Zeiten von Corona kommt bei mir da ein Déjà vu zu 1871 auf", sagt der Wettiner. Er spricht sich für mehr Föderalismus aus - erst recht in Europa. "Wir brauchen Identität, sowie ein Bekenntnis zu den eigenen Interessen und den Mut, diese zu vertreten", bemerkt der 74-Jährige. Wenn man diesen hätte, bräuchte man sich auch nicht vor links- oder rechtsextremistischen Strömungen fürchten. "Man würde diesen das Halteseil eines Zentralismus nehmen, an dem sie sich durch das System hangeln."

Ja, Sachsen-Weimar hätte es besser gehabt ohne jenen Akt vom 18. Januar 1871 im Spiegelsaal von Versailles vor den Toren Paris. "Wir hatten damals ein blühendes Bildungs- und Sozialwesen und eine starke Teilhabe der Bevölkerung an Legislative und Exekutive", erklärt Prinz Michael. Den großen Schritt in Richtung Demokratie verhinderte Ende des 19. Jahrhunderts der Weimarer Landadel. Prinz Michael verweist auf eine der reichsten Kulturlandschaften Europas, die in jener Zeit geboren wurde. Und ja: Ohne 1871 würde er jetzt wohl der Schlossherr von Weimar sein. "Aber bitte nur als Repräsentant des Landes", sagt er und lacht.