Im Folgenden dokumentieren wir einen Brief des Erfurter Bischofs Ulrich Neymeyr, in dem er sich an die Katholikinnen und Katholiken des Bistums Erfurt wendet.

Liebe Mitchristen,

in diesen Tagen erfahren wir die tiefgreifende Krise unserer Kirche mit neuer Wucht: Uns wird einmal mehr vor Augen geführt, welches Leid Menschen in der Kirche durch sexualisierte Gewalt zugefügt wurde. Wieder müssen wir vom Versagen der Verantwortlichen hören, die Priester nicht bestraften, von deren Verbrechen sie wussten, während sie eine strikte Sexualmoral vertraten.

Dass der emeritierte Papst Benedikt XVI. nicht zu seiner Verantwortung steht, die er als Erzbischof von München hatte, entsetzt viele Gläubige genauso wie die Ablehnung des Amtsverzichts der Bischöfe, die zu ihrer Verantwortung stehen und um Entpflichtung gebeten haben. Ich kann das gut verstehen. Und wir haben am Montag auch gesehen, dass viele Menschen, die nicht heterosexuell empfinden, in der Kirche ausgegrenzt werden. Das muss sich ändern.

Kirche trägt den Glauben in zerbrechlichen Gefäßen

Überzeugte Katholikinnen und Katholiken, die zu DDR-Zeiten treu zur katholischen Kirche gestanden haben, sagen und schreiben mir, dass sie das jetzt nicht mehr können. Ich kann Sie nur bitten, auch jetzt zur Kirche als Heimat für Ihren Glauben zu stehen. Die Kirche hat den Glauben durch die Jahrhunderte getragen – in „zerbrechlichen Gefäßen“ (2 Kor 4,7), wie Paulus schreibt.

Sie konnte das nur, weil Jesus Christus dieser Gemeinschaft, dieser konkreten Kirche seine Gegenwart zugesagt hat. Vergessen Sie bitte nicht: Durch die Sakramente der Kirche sind wir eingebunden in das Erlösungswerk Christi. Durch die Kirche haben wir unseren Glauben kennengelernt. Lassen Sie uns die Gemeinschaft mit Jesus Christus und miteinander auch in der Pandemie pflegen so gut es geht.

Sorge um die Betroffenen und Prävention

All das, was in den letzten Tagen über die Kirche berichtet wurde, erschüttert mich und sicher auch Sie. Gerade deshalb werden wir nicht nachlassen mit all unseren Bemühungen um Prävention, um korrekten Umgang mit Beschuldigungen, um Sorge für die Betroffenen und um Aufarbeitung, auch wenn sie angesichts der Schuld, die die Kirche auf sich geladen hat, kaum noch zur Kenntnis genommen werden.

Im Synodalen Weg der katholischen Kirche in Deutschland werden Vorschläge erarbeitet, um die systemischen Ursachen dessen zu bekämpfen, was geschehen ist. Bitte nehmen Sie an diesem Weg Anteil und begleiten Sie ihn mit Ihrem Gebet. Und bitte beten Sie auch für die Menschen, die sexualisierte Gewalt in der Kirche erleiden mussten.

Mit der Bitte um Gottes Segen grüße ich Sie ganz herzlich.

Ihr Bischof Ulrich Neymeyr