Greiz. Gestern erhielt sie in Köln für das Hörspiel „Auf der Suche nach den verlorenen Seelenatomen“ den Preis der Kriegsblinden, eine bedeutende Auszeichnung

Susann Maria Hempel wirkt schüchtern. Sie schaut immer wieder kurz nach unten, streift mit ihren Fingern durch ihr kurz geschnittenes Haar. Sie trägt einen leichten Pulli, Jeans und ein graues Jäckchen.

Dabei ist die 36-Jährige alles andere als eine graue Maus. Gestern erhielt sie in Köln den Hörspielpreis der Kriegsblinden, eine bedeutende Auszeichnung.

Susann Maria Hempels Hörspiel mit dem Titel „Auf der Suche nach den verlorenen Seelenatomen“ begeisterte die hochrangige Jury, die einschätzten, dass diese Produktion von Radio Berlin Brandenburg vor allem durch ihre formale Kunst beeindruckt habe. Eine stimmlich brillant erzählte Geschichte, wurde im Deutschlandfunk dazu kommentiert.

Susann Maria Hempel gestaltet jedoch nicht nur Hörspiele. Sie ist eine Filmemacherin, auch in diesem Metier eine ausgezeichnete Filmemacherin. Es sind die Experimentalfilme, die sie mag und macht. Filme, die sich vom Mainstream unterscheiden, die anders sind. In ihrer Sichtweise, in ihrer Perspektive und damit in ihrer Originalität. Über den Begriff Experimentalfilm schmunzelt sie: „Ich glaube, alles, was nicht in einer herkömmlichen Schublade einzuordnen ist, wird wohl als experimenteller Film bezeichnet.“

Wer ist diese Susann Maria Hempel, diese junge Greizer Filmemacherin, die ihrer kleinen Stadt die Treue hält und nicht ausgeflogen ist? Jeder, lächelt sie, jeder habe zu ihr gesagt: Wenn du in deinem Metier etwas werden möchtest, dann verlasse die Enge dieser Stadt.

Mit 16 Jahren hat es Susann Maria Hempel auch getan. „Ich brach nach der zehnten Klasse mein Abitur ab, beschäftigte mich mit Theater, lernte einen Regisseur kennen und wir gründeten eine freie Theatergruppe in Weimar. In jener Stadt, die schon nach den Größen in Kunst und Kultur riecht. Damals spielte die Greizerin sogar mit dem Gedanken, Schauspielerin werden zu wollen und zu können. Doch das habe sie sich wieder ausgetrieben, formuliert sie – und lächelt dabei.

Zwei Jahre arbeitete Susann Maria Hempel mit ihrer Performance-Gruppe. „Wir waren ein echtes Künstlerkollektiv, doch irgendwann , so mit 18 Jahren, stellte ich mir die Frage: Wo willst du hin? Wäre es nicht besser, endlich etwas zu studieren?“

Susann Maria Hempel ging in der Folge zur Bauhaus-Universität Weimar. „Ich studierte Mediengestaltung – ich lernte eine Menge dazu und viele Leute kennen.“ Ihr erster Film entstand. Der Mann, der nicht weinen wollte – so der Titel. Es geht darin um eine Firma, die im Trauerzustand ist und um eine verstorbene Schauspielerin trauert. Nur der Buchhalter weint nicht. „Aus meiner heutigen Sicht war das ein vollkommen akademisches Projekt“, schätzt sie ein. „Und völlig verkopft.“ Susann Maria Hempel schaut nach unten. Als würde sie sich schämen.

Damals besaß sie für eine kurze Zeit eine Wohnung in ihrer Heimatstadt Greiz – am Ende der Luxemburg-Straße. „In dieser Ecke bin ich aufgewachsen“, unterstreicht sie. Heute lebe sie in der Greizer Neustadt, nahezu gegenüber ihrem Geburtshaus. Es sei ein wunderbares Gefühl, auf jenes Gebäude blicken zu können, indem man groß geworden ist, freut sie sich. Ihr liege es, ein bisschen einsiedlerisch zu leben. „Das habe ich gern.“ Und Susann Maria Hempel schätze das Greizer Geisterstadt-Gefühl, wie sie es nennt.

Die Greizer Filmemacherin könne sich ins Kämmerchen zurückziehen und liebe das konzentrierte Gespräch. „Stinklaunen anderer mache ich einfach nicht mit“, hebt sie hervor.

Das künstlerische Talent war ihr nicht unbedingt in die Wiege gelegt. Ihr Vater habe etwas Klavier spielen können, ihre Mutter habe ausgesprochen gern gezeichnet. „Als Mädchen habe ich die Greizer Musikschule besucht.“

Susann Maria Hempel erhielt in ihrer Karriere viele gute Ratschläge. Um gute Kunst zu machen, müsse man leiden, lautete einer. Heute glaube sie nicht mehr, sich zum Märtyrer seiner Arbeit machen zu müssen. Der Drang, sich zuerst auf die Theaterbühne und später hinter eine Kamera oder ein Mikrofon zu stellen, hätte bei ihr folgende Motivation gehabt: „Ich wollte damit einfach Aufmerksamkeit erbitten!“ Ihren großen Durchbruch landete Susann Maria Hempel mit ihrem Film „Der große Gammel“. Dabei beobachtete sie den Abriss des altehrwürdigen Greizer Theaters, hielt akribisch fest, wie das Haus von der Bildfläche verschwand. Sie behandelte die Fotos mit speziellen Chemikalien, so dass auch die Bilder im zusammengefügten Film auseinanderbrachen. „Ich hing an diesem Theater, an dieser Bühne, an diesem Haus“, sagt sie heute. „Ich spürte den Verlust, der für mich auch sehr persönlich war. Über die vielen Jahre hatte ich eine sehr emotionale Beziehung zu diesem Haus aufgebaut.“

In Susann Maria Hempels Werken spielen die Themen Verlust, Abschied und Todessehnsucht eine große Rolle. Die Trauer als Inhalt ihrer Stücke sehe sie nicht als Zufall. Obwohl ihre Mutter öfter zu ihr gesagt habe: „Mach doch mal was Schönes!“

Doch am meisten habe sie von Menschen mit schwierigen Biografien gelernt, weiß die Filmemacherin inzwischen. Sie arbeite mit Laiendarstellern und sei eigentlich mehr die stille Beobachterin aus verschiedenen Blickwinkeln.

Kein Wunder, dass bereits ein neuer Film zu diesem Thema abgedreht ist. Schon vor vier Jahren. Es ginge darin um ein fiktives Selbstmörderfest – mit einer Henkersmahlzeit, mit Abschiedsbriefen, die sich gegenseitig vorgelesen werden.

Für Susann Maria Hempel stellte sich während dieser Arbeit heraus: Die heimliche Hoffnung auf ein Weiterleben hätten alle Beteiligten niemals aufgegeben.