Nordhausen. Eine weltweit einmalige Gentherapie soll das Leben des Fünfjährigen retten.

Es ist keine acht Stunden her, da weilte Jeanine Bergmann mit Leopold noch in Berlin. Am Dienstagnachmittag erzählt sie – geschafft und glücklich – in Nordhausen von ihrem Besuch in der amerikanischen Botschaft. „Ich war so erleichtert“, schildert sie jenen Moment, da sie erfuhr, dass sie und ihr Sohn ein Visum für die USA bekommen. Das Flugzeug startet am 21. Mai.

Es geht nicht um irgendeinen Trip. Es geht um Leopolds einzige Chance: Der Fünfjährige soll in Amerika eine Gentherapie bekommen, die sein Leben retten könnte. Leopold hat, so erfuhren es seine Eltern vor knapp elf Monaten, GM1-Gangliosidose. Die genetisch bedingte Stoffwechselkrankheit lässt ihn nur zehn, vielleicht 20 Jahre alt werden. Denn infolge eines fehlenden Enzyms fallen ganze Körpersysteme aus. Manche erblinden, werden taub, Muskeln schwinden, auch die zur Atmung und der Herzmuskel.

Mit der Gentherapie-Studie am National Institute of Health verbinden Jeanine und Marcel Bergmann die Hoffnung, dass die Krankheit zumindest gestoppt wird.

Der Weg der vergangenen Monate war steinig, voller Ungewissheiten und schwerer Entscheidungen. Im Januar aktualisierte die Studienkoordinatorin in den USA die Warteliste für die Therapie. Würde Leopold noch die Teilnahmekriterien erfüllen, sein Gesundheitszustand gut genug sein? Viele Fotos und Videos von ihm hatten die Bergmanns vorher geschickt. Ende Januar kam die erlösende Nachricht. Im März bestand Leopold den obligatorischen Entwicklungstest.

Auch zeigten Blutuntersuchungen, dass er keine Antikörper gegen den Vektor der Gentherapie hat. Und schließlich die letzte, von den Bergmanns unterschätzte Hürde: die Visa. Deutschland gilt für die USA als Corona-Hochrisikogebiet, die Einreiseregeln sind streng. Doch über Bernd Gulden, den Chef von Feuer Powertrain, finden die Bergmanns zu den Wirtschaftsprüfern von KPMG. Deutsche und amerikanische Anwälte leisten unentgeltliche Beratung, weisen die Botschaft mit Erfolg auf den medizinischen Notfall hin.

Infolge der Pandemie hat sich die Familie entschlossen, dass der Vater mit Leopolds großer Schwester während der mehrmonatigen Therapie in Deutschland bleibt, Mutter und Sohn allein reisen. Nach zehn Tagen in einem Quarantänehotelzimmer stehen binnen einer Woche 15 Untersuchungen an, danach bekommt der Junge drei Wochen lang immunabsenkende und andere Medikamente. Die Gentransfusion schließlich ist für den 29. Juni geplant.

„Es ist experimentelle Medizin“, weiß Jeanine Bergmann um die unklaren Erfolgsaussichten. Sie hofft auf einen Stopp der Krankheit: „Ich könnte gut damit leben, wenn Leopold weiter sagen kann, wie es ihm geht, was er essen möchte, wenn er seinen natürlichen Bewegungsdrang ausleben kann.“

Ihr Leben seit der Diagnose vorigen Juni beschreibt die Nordhäuserin als Achterbahn. Ein Auf und Ab. Sie sieht nicht allein das Fortschreiten der Krankheit – sie sieht auch, wie viele Menschen helfen: Seit dem Aufruf der Initiative „Leopold wird gesund“ wurden 230.000 Euro gespendet. „So spielt der finanzielle Aspekt keine Rolle mehr“, ist sie dankbar.

Zwar kostet die Gentherapie selbst nichts, doch müssen Flüge und Unterkunft, Verdienstausfall, viele Therapien und medizinische Hilfsmittel bezahlt werden. Und niemand weiß, ob Leopold nicht doch irgendwann von seinen Eltern rund um die Uhr gepflegt werden muss.