So ein kleines Organ und so viele Auswirkungen auf lebenswichtige Stoffwechselprozesse – was sind die häufigsten Schilddrüsenerkrankungen?

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Schilddrüsenerkrankungen gehören zu den häufigsten Erkrankungen - jeder dritte Erwachsene entwickelt im Lauf seines Lebens eine Schilddrüsenveränderung. Jeder vierte hat eine vergrößerte Schilddrüse oder Knoten im Gewebe. Jeder zehnte leidet unter einer Hashimoto Thyreoiditis, einer ständigen Entzündung der Schilddrüse. Dr. Franz Christoph Robiller, Chefarzt, und Dr. Josephin Meister, Oberärztin an der Klinik für Nuklearmedizin der Zentralklinik Bad Berka über moderne Diagnostikmöglichkeiten.

So ein kleines Organ und so viele Auswirkungen auf lebenswichtige Stoffwechselprozesse – was sind die häufigsten Schilddrüsenerkrankungen?

Robiller: Die häufigsten sind glücklicherweise gutartige Erkrankungen. Allgemein ist der Kropf mit oder ohne Knoten bekannt. Ohne Knoten nennt man diese Veränderung Struma diffusa, mit Knoten ist es eine Struma nodosa. Deutschland ist Jodmangelgebiet, im Gegensatz zur Schweiz oder den Ländern im Norden Europas. Bei den über 60-Jährigen ist eine Struma, also die vergrößerte Schilddrüse, die häufigste Schilddrüsenerkrankung. Eine Struma aber auch normal große Schilddrüsen können kalte Knoten enthalten. Dabei besteht die Gefahr, dass sich daraus ein Schilddrüsenkarzinom entwickelt oder bereits vorliegt. Heiße Knoten gehen meist mit einer Überproduktion von Schilddrüsenhormonen einher, mit entsprechender Beschleunigung von Stoffwechselprozessen. Es gibt darüber hinaus diffuse Autonomien der Schilddrüse – bekannt ist die Autoimmunerkrankung Morbus Basedow als eine Ursache der diffusen Autonomie. Es gibt verschiedene Schilddrüsenentzündungen (Thyreoiditis), oft sind diese autoimmun vermittelt.

Schilddrüsenkarzinome sind in den letzten Jahren etwas häufiger geworden, bei Männern 6 Neuerkrankungen auf 100.000 Einwohner und bei Frauen sind es 11 Neuerkrankungen auf 100.000 Einwohner. Die meisten Schilddrüsenkarzinome sind gut differenziert und haben eine gute Prognose.

Mehr Frauen als Männer sind von einer Unterfunktion betroffen, aber auch Kinder können darunter leiden – woran merkt man das?

Meister: Die Unterfunktion hat bei Kindern verschiedene Facetten. Wichtig ist es, die Familienanamnese zu beachten und an eine gewisse genetische Prädisposition von Schilddrüsenerkrankungen zu denken. Das zweite Thema ist die Situation in der Schwangerschaft und direkt nach der Entbindung. Durch die heutige Gesundheitsvorsorge ist es möglich, bei den U-Untersuchungen bereits frühzeitig Auffälligkeiten zu erkennen, z. B. wenn es Entwicklungsverzögerungen gibt. Darüber hinaus gehört die Bestimmung des TSH-Wertes zum Neugeborenen-Screening, so dass bereits frühzeitig angeborene Schilddrüsenfunktionsstörungen detektiert werden können und entsprechend gehandelt werden kann. Auch bei Jugendlichen, die z.B. von Adipositas betroffen sind, muss man auf Spurensuche gehen und gegebenenfalls die Schilddrüse und eine mögliche Unterfunktion im Blick haben. Allgemein gilt, dass Kinder und Erwachsene sich in vielerlei Hinsicht unterscheiden, zum Beispiel in Bezug auf die Symptomatik, aber auch zum Beispiel in Bezug auf laborchemische Referenzwerte. So ist zum Beispiel der TSH-Referenzwert bei Kindern anders als bei Erwachsenen. Wichtig ist zudem, wie bei allen Patientinnen und Patienten, eine gute Anamnese. Eltern, die sich bezüglich dem Vorliegen von Schilddrüsenerkrankungen bei ihren Kindern Sorgen machen, sollten das auf jeden Fall bei den pädiatrischen Kollegen und Kolleginnen ansprechen.

Bei einer Schilddrüsenüberfunktion helfen Medikamente – wann muss operiert werden, wann kommt eine Radiojodtherapie in Frage?

Franz Christoph Robiller und Josephin Meister
Franz Christoph Robiller und Josephin Meister © Zentralklinik Bad Berka

Robiller: Bei einer Überfunktion, beispielsweise bei einer diffusen Autonomie sind die Symptome für die Patienten stark belastend: Nervosität, Gewichtsabnahme, Schweißausbrüche, bei älteren Patienten besteht die Gefahr einer Osteoporose. Da muss man abwägen, wann eine OP und wann eine Radiojodtherapie sinnvoll ist. Es gibt natürlich Vor- und Nachteile. Bei der Schilddrüsenoperation kann der Stimmbandnerv verletzt werden, es resultiert eine Heiserkeit bei einseitiger Lähmung. Bei gut ausgestatteten spezialisierten Zentren, wie beispielweise der Zentralklinik Bad Berka, werden solche Eingriffe immer unter Verwendung eines intraoperativen Neuromonitorings durchgeführt, um so etwas zu verhindern. Bei älteren Patienten oder generell bei Patienten mit OP-Risiken sowie bei kleinen Schilddrüsen ist eine Radiojodtherapie angezeigt. Uns ist immer wichtig, dass die Optionen ausführlich mit den Patienten und Patientinnen besprochen werden.

Sänger, Moderatoren und Lehrer, also alle, die mit ihrer Stimme arbeiten, haben Bedenken vor solchen Operationen…

Meister: Es ist eine Entscheidung, die mit dem Patienten gemeinsam und interdisziplinär getroffen werden muss. Und das setzt voraus, dass auch die Betroffenen wissen, was die Vorteile und Nachteile sind. Natürlich kann ein schnelles Ergebnis nach einer Radiojod-Therapie, die ihre Hauptwirkung erst nach ca. sechs bis acht Wochen entfaltet, nicht erwartet werden. Da muss man im Einzelfall für eine OP plädieren, so zum Beispiel auch in lebensbedrohlichen Situationen. Wenn beispielsweise durch eine Überfunktion eine schwere Herzrhythmusstörung ausgelöst wird, muss man definitiv dringend handeln. Es geht darum, wie bei vielen anderen Entscheidungen in der Medizin, dass Patienten und Patientinnen gut über mögliche therapeutische Verfahren aufgeklärt werden und gleichberechtigt mit den Ärzten und Ärztinnen eine Entscheidung treffen können.

Früher hieß es, man soll viel Fisch essen?

Robiller: Genau! Meeresfische sind gut, aber die Ressourcen sind endlich. Man kann die eigene Versorgung mit Jodid-Tabletten verbessern, gerade bei Jodmangel und Tendenz zur Struma. Doch wichtig wäre, dass man sich darüber mit dem Hausarzt berät und den TSH-Wert kontrollieren lässt. Evtl. sollte einen Ultraschall der Schilddrüse durchführt werden.

Bei welchen Symptomen sollte man zum Arzt gehen?

Robiller: Bei unerklärlicher Gewichtszunahme, Lethargie, Müdigkeit, Haarausfall, Ödemen, diese Symptome weisen auf eine Schilddrüsenunterfunktion hin. Eine Überfunktion führt zu unerklärlicher Gewichtsabnahme, Nervosität, starkem Schwitzen, Unruhe und Haarausfall. Man sollte dann zum Arzt gehen und den TSH-Wert bestimmen lassen.

Meister: Gerade bei Patienten, die an Herzrhythmusstörungen, insbesondere unter Vorhofflimmern, leiden, lohnt sich ein Schilddrüsenscreening. Eine Schilddrüsenüberfunktion kann solche Rhythmusstörungen triggern. Auch bei ungewolltem Kinderwunsch sollte man die Schilddrüsenwerte im Blick haben, diesbezüglich sind zum Glück bereits viele Gynäkologen und Gynäkologinnen sehr versiert.

Interview: Anke Geyer