London. Boris Johnson wurde von den Konservativen als neuer Premierminister von Großbritannien bestimmt. Was ist nun von ihm zu erwarten?

Er hat es geschafft – und wie. Am Dienstag haben die Mitglieder der britischen Konservativen Boris Johnson zum neuen Parteichef und damit automatisch zum Premierminister gewählt. Er setzte sich bei der innerparteilichen Wahl mit 92.153 Stimmen gegen seinen Rivalen Jeremy Hunt durch, der 46.656 Stimmen erhielt.

Der selbsterklärte „Mr. Hard-Brexit“ ist damit am Ziel seiner Träume. Für die EU, aber auch für die Briten brechen ungemütliche Zeiten an. Der Zug fährt nun mit Vollgas Richtung harter Brexit ab dem 31. Oktober. Wir beantworten die wichtigsten Fragen zum neuen Regierungschef in Großbritannien.

Ist Boris Johnson ein europäischer Donald Trump?

Ja und nein. Anders als US-Präsident Donald Trump verfügt Boris Johnson bei Amtsantritt über politische Erfahrung. Er war von 2008 bis 2016 Londoner Bürgermeister und von 2018 bis 2018 britischer Außenminister. Aber im Stil sind sich beide durchaus ähnlich.

Wie Trump liebt Johnson den Kampf-Modus. Er lästert leidenschaftlich gegen die angeblichen Pläne der EU, einen Superstaat zu schaffen. „Napoleon, Hitler, verschiedene Leute haben das versucht, und es endet (immer) tragisch“, stichelte der 55-Jährige. Er wirft der Gemeinschaft einen Hang zur Mammut-Bürokratie und eine unbeschränkte Regelungswut vor.

Anders als Trump kann Johnson seine Attacken hinter einer Charme-Fassade tarnen. Viele Briten mögen ihn, weil er so gar nicht dem typischen Politiker-Klischee entspricht. Sein Mundwerk, sein Wuschelkopf, seine zerknitterten Anzüge bringen ihm Sympathien ein. Auch Trump lobt Johnson in den höchsten Tönen. Theresa May, die an diesem Mittwoch abtritt, habe dagegen beim Brexit einen „lausigen Job“ gemacht, poltert der US-Präsident.

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Was bedeutet der Wechsel an der Regierungsspitze für den Brexit?

Johnson hat ganz klar angekündigt: Falls die EU nicht nachverhandele und auf seine Bedingungen eines möglichst schnellen EU-Ausstiegs eingehe, kommt es am 31. Oktober zu einem ungeregelten Brexit. Johnson stört vor allem die sogenannte Backstop-Regelung im zwischen Brüssel und London ausgehandelten Deal, der vom britischen Parlament dreimal ablehnt wurde.

Die Regelung besagt Folgendes: Um eine harte Grenze zwischen dem zum Vereinigten Königreich gehörenden Nordirland und dem EU-Mitglied Irland zu vermeiden, solle es eine Übergangsperiode geben. Brüssel befürchtet bei einer Wiedereinführung von Grenzkontrollen ein Wiederaufflammen des Bürgerkriegs zwischen Nordirland und Irland.

Die Vereinbarung sieht daher vor, dass Nordirland eine Zeit lang in der Zollunion bleibt und Teile davon dem EU-Binnenmarkt angehören. Johnson kritisiert das als Brüsseler Diktat. Die EU hat sich hingegen festgelegt: Der bereits vereinbarte Deal kann nicht verwässert werden. Höchstens an der nicht bindenden politischen Erklärung könne noch gefeilt werden. Allerdings gibt es zumindest einen winzigen Hoffnungsschimmer.

Jenseits seiner Drohungen hat Johnson erklärt: Die Wahrscheinlichkeit eines harten Brexits liege bei eins zu einer Million. Optimisten sehen darin die Chance, dass der neue Premier doch noch beidreht und in letzter Minute Konzessionen macht.

Welches Verhältnis hat Johnson zu Deutschland?

Eigentlich keines. Es hat sich kaum zu Deutschland geäußert. „Britain First“, heißt seine Devise. Theresa May hat hingegen immer hervorgehoben: Auch nach einem Brexit bleibt Deutschland einer der wichtigsten Partner Großbritanniens in Europa. Dies betreffe vor allem die Wirtschafts- und die Sicherheits- und Verteidigungspolitik.

Kann es passieren, dass der neue Premier gleich wieder gestürzt wird?

Theoretisch ja. Denn der neue Premierminister hat im Parlament nur eine hauchdünne Mehrheit von vier Mandaten. Einige konservative Abgeordnete haben angekündigt, sich nach Boris Johnsons für diesen Mittwoch geplanter Amtseinführung anderen Parteien anzuschließen.

Aber die Labour Party, die größte Kraft der Opposition, wird vermutlich mit einem Misstrauensvotum aus taktischen Gründen warten. Sie spekuliert darauf, dass sich Johnson in der Hitze der Brexit-Debatte abnutzt. Je näher der ungeregelte EU-Ausstieg am 31. Oktober rückt, desto nervöser dürfte die Stimmung im Land werden. Kritiker hatten schon vorher angemerkt: Boris Johnson verkauft nur Illusionen – genau wie Trump.

Erst dann werden vermutlich viele Bürger die gravierenden wirtschaftlichen Nachteile für Großbritannien erkennen. Im Parlament gibt es ohnehin keine Mehrheit für einen knallharten Brexit. Beobachter rechnen damit, dass die Option eines Misstrauensvotums erst später gezogen wird. Im September könnte es zu einer Nacht der langen Messer kommen.