Erfurt. Wie sich die Thüringer Landespolitik kollektiv durch die nächste Phase der Corona-Krise quält.

Da steht sie am Rednerpult des Landtagsprovisoriums in der Erfurter Arena und kämpft: Heike Werner, knapp 52 Jahre alt und Gesundheitsministerin von Thüringen. An diesem Mittwochnachmittag muss sie sich in alle Richtungen verteidigen: gegen die Attacken der Opposition, gegen die Sticheleien der Koalitionspartner und gegen die Corona-Relativierungsübungen der AfD, von der diese Sondersitzung beantragt wurde. Alles Wichtige zur Corona-Pandemie in Thüringen lesen Sie in unserem Blog

„Corona ist eine Epidemie der Hochbetagten“, weshalb der Lockdown für alle nichts bringe, hatte AfD-Fraktionschef Björn Höcke gerufen. „Das Impfmanagement ist falsch angesetzt“, sagte CDU-Fraktionschef Mario Voigt. „Wir brauchen keine Telefonhotline, wir brauchen gute, stabile, verlässliche Anmeldephasen“, erklärte die SPD-Abgeordnete Cornelia Klisch.

Nun steht Werner am Pult, sie redet schnell und nahezu frei. „Wir wollen uns nicht von der Pandemie beherrschen lassen“, ruft sie. „Wir wollen die Pandemie beherrschen.“

Aber leider: „Wir müssen feststellen, dass wir es nicht vermocht haben, dass die zweite Welle glimpflich abläuft“, sagt sie. Der Lockdown light habe „nicht gewirkt“.

Werner steht im Zentrum der Corona-Krise im Land

Für die Linke-Politikerin Werner ist die Situation immer noch neu. Eineinhalb Jahrzehnte hatte sie im sächsischen Landtag gesessen, bis sie 2014 ihr Mandat verlor. Kurz darauf wurde sie – was sie selbst überraschte – ins erste rot-rot-grüne Kabinett nach Thüringen gerufen, wo sie ihren Job unfallfrei, aber auch unauffällig verrichtete.

Doch nun, seit zehn Monaten, steht Werner im Zentrum der Corona-Krise im Land. Sie erarbeitet die Corona-Verordnungen, sie managt die Krankenhäuser, sie verantwortet den Krisenstab.

Natürlich funktioniert vieles nicht so wie geplant. Zum Beispiel beim Testen in den Pflegeheimen. „Aber es ist eben nicht so einfach zu sagen, es gibt eine Testpflicht, jetzt zieht das bitte durch“, ruft Werner vom Pult herab.

Und dann ist da noch ihr Parteigenosse Bodo Ramelow, der Ministerpräsident, von dem sie oft auch nicht weiß, was er als nächstes ankündigen wird. Dass er sich am Dienstagabend, nach der jüngsten Konferenz von Bund und Ländern, streng an die gefassten Beschlüsse hielt, ohne eigene, teils unabgestimmte Vorschläge zu machen, war beinahe eine Premiere.

Ramelow: Vereinbarungen müssten „eins zu eins“ umgesetzt werden

„Wir sind mit den Infektionszahlen auf Platz 1 in Deutschland“, hatte Ramelow gesagt. Gerade in Thüringen gebe es keinerlei Ansatz, über Lockerungen zu diskutieren. Die Vereinbarungen müssten deshalb „eins zu eins“ umgesetzt werden. „Wir werden uns noch eine ganze Zeitlang sehr anstrengen müssen.“

Dann appellierte der Regierungschef an die Bürger, die sich nicht mehr treffen sollen, an die Unternehmer, die ihre Beschäftigten ins Homeoffice schicken müssten, an die Lehrer, die sich testen lassen können – und an sein eigenes Kabinett, das zusammenzuhalten habe.

„Ich wäre froh, wenn ich breit von allen Koalitionspartnern unterstützt werden würde“, sagte er. Sie und auch seine eigene Partei könnten nicht auf der einen Seite „öffentlich einen schärferen Lockdown“ verlangen – um dann auf der anderen Seite Änderungen zu fordern. „Das ist keine Frage von Wahlkampf“, sagte er.

Ramelow wirkt dünnhäutig

Wie so oft in den vergangenen Monaten wirkte Ramelow dünnhäutig. Die einfache Nachfrage, ob es im Lichte der neuen Entscheidungen wirklich so gut war, die Winterferien in die letzte Januarwoche vorzuverlegen, wischt er rüde weg. Er sei ja kein „Hellseher“, antwortete er ungehalten. „Hätte, hätte, Fahrradkette.“

Aus der CDU poltert es am Mittwoch zurück. Genauso wie Eltern- und Lehrerverbände habe sie die Landesregierung vergebens davor gewarnt, die Ferien zu verlegen. „Doch für alle, die sein Krisenmanagement hinterfragen, hat Bodo Ramelow nur Spott übrig“, sagt der Abgeordnete Andreas Bühl.

Zum Ende der Landtagsdebatte drängt es Staatskanzleichef Benjamin Hoff (Linke) auf die Bühne der Arena. Er will ganz offensichtlich Heike Werner beistehen, die er seit Jahrzehnten kennt und die er 2014 von Sachsen nach Thüringen holte, und natürlich seinem Vorgesetzten Ramelow.

Voigt: „Hier hat keiner ein Klugscheißer-Gen“

Der Minister verweist zuerst darauf, dass die Thüringer Oppositionsparteien mit Ausnahme der AfD anderswo in der Republik regierten. „Wir bewegen uns in einem Feld, in dem es keine Erfahrungswerte gibt“, sagt er dann. Bei allem politischen Wettbewerb sollte sich daher auch im Wahlkampfjahr keiner „mit dem Gestus fehlender Selbstkritik“ präsentieren.

Da muss CDU-Fraktionschef Voigt doch noch einmal ans Pult. „Hier hat keiner ein Klugscheißer-Gen“, ruft er. „Aber man muss auch Kritik aushalten können.“

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