Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow plädiert für eine neue Nationalhymne. Warum die aktuelle Hymne inzwischen zu dieser Bundesrepublik gehört, erklärt Martin Debes.

„Deutschland, Deutschland über alles?“ Das war einmal. Gingen die Zeilen einst noch als romantisch verklärter Nationalstolz durch, sind sie spätestens seit dem Zweiten Weltkrieg und dem Holocaust vergiftet.

Wer heute die erste Strophe mit propagandistischer Absicht absingt, ist kein Patriot. Er ist ein geschichtsvergessener Nationalist. Es besitzt seine innere Logik, dass die Nazis nur die erste Strophe sangen. Der Text passte, da konnte der alte Hoffmann von Fallersleben gar nichts dafür, zu der Ideologie der Herrenmenschen, die sich die Welt untertan machten. Wer, wie die Flügelstürmer um Björn Höcke, diese Zeilen singt, der begibt sie sich ganz bewusst auf dieses Niveau.

Man mag es für schade halten, dass Westdeutschland 1950 und das vereinte Land 1990 bei der alten Hymne blieben. Aber sie gehört inzwischen zu dieser Bundesrepublik, deren Credo die dritte Strophe erstaunlich präzise zusammenfasst. „Einigkeit und Recht und Freiheit“: Das ist eine demokratische, ja universale Botschaft.

Wenn jetzt der thüringische Ministerpräsident trotzdem die alte Idee von einer neuen Hymne wieder hervorholt, dann ist dies keineswegs skandalös. Aber es ist schlicht unnötig, selbst angesichts zunehmender AfD-Provakationen.

Zum einen weiß er, dass es für seine Forderung keine Mehrheit gibt und geben wird. Zum anderen steht dieses Lied, inklusive seiner Fehlstellen, für das, was Deutschland ist.

Für eine Nation mit komplizierter Identität und Geschichte, die gleichermaßen für Höchstleistungen in Kultur, Wissenschaft oder Wirtschaft und unfassbare Verbrechen verantwortlich war. Für eine Nation, die ihre Werte nicht mehr bloß vaterländisch, sondern europäisch definiert. Für eine Nation, die ihres Glückes Unterpfand gefunden hat – und nie wieder hergeben sollte.

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