Bad Berka. Pflegedirektorin Christiane Jähnert wünscht sich mehr Respekt für den 24-Stunden-Dienst.

Am 27. Oktober wird der Thüringer Landtag neu gewählt. Im Wahlkampf wird viel über Umfragen und Koalitionsmodelle geredet – und nicht ganz so viel über die Ziele der Parteien und über die Menschen, die von diesen Zielen konkret betroffen sind. Was treibt sie um, worauf hoffen sie, was fordern sie? Wir haben nachgefragt.

Christiane Jähnert ist Pflegedirektorin in der Zentralklinik Bad Berka

Werbeplakate ihrer Klinik zeigen Christiane Jähnert als Bergsteigerin. „Nüscht für Luchen, wir brauchen Helden“ lautet dazu das aktuelle Motto der Zentralklinik Bad Berka. Hier übernahm sie vor einem Jahr das Amt der Pflegedirektorin. Wie in der Freizeitkletterei sei es auch in ihrem Beruf: man komme schon mal an die eigenen Grenzen und müsse sich auf seine Mitstreiter verlassen können, sagt die sportliche Mittfünfzigerin. In puncto Pflege heißt das für sie: Keine Spitzenmedizin ohne Spitzenpflege. Engagiert, zuverlässig, selbstbewusst mit Wissensdrang und Spaß an der Arbeit – so sieht sie sich und so wünscht sie sich auch ihre Kolleginnen und Kollegen.

Jähnert ist gebürtige Thüringerin. In der DDR erschwerte man ihr als Kind sogenannter Intelligenz-Eltern trotz bester Noten das Studieren. Sie entschied sich für „den Umweg“ über die Pflege und hat es nie bereut. Über 25 Jahre stand sie selbst am Patientenbett, ehe sie in den 2000ern auf die Leitungsebene wechselte. Die Schlagzeilen rund um die Pflege, verbunden mit einem vielfach negativen Bild ihres Berufes, ärgern sie. „Pflege ist gesellschaftlich bedauert. Das ist nicht das, was ich mir wünsche“, sagt sie. Auswirkungen habe das nicht zuletzt auf die Attraktivität des Berufes. Zu ihrer Zeit brauchte man möglichst einen Durchschnitt von unter 1,5, um genommen zu werden. Inzwischen lägen Bewerber mitunter weit darüber. Nicht immer kämen die in die Kliniken, die hoffnungsvoll und zuversichtlich Spaß am Beruf haben.

Rund um die Uhr am Bett des Patienten

Herausfordernd war Pflege schon immer. Pflegerinnen und Pfleger seien quasi 24 Stunden bei den Patienten. Sie bereiten auf Operationen vor, halten den sozialen Kontakt und sollten dabei auch mit den Ärzten auf Augenhöhe kommunizieren. In der Vergangenheit sei die Aufenthaltsdauer von Patienten länger gewesen, Kontakte waren so intensiver. Ein Blinddarm verbrachte gut 14 Tage im Krankenhaus. Inzwischen seien stationäre Behandlungen auf die notwendigsten Akutmaßnahmen beschränkt. Oft wechselten Patienten schon nach wenigen Tagen in die Anschlussbehandlungen. Ärzte hätten weniger Zeit. Menschliche Zuwendung, Fürsorge und soziales Auffangen ließen sich in der zunehmend anonymen Hektik heutiger Klinken nur mit viel Engagement realisieren, sagt Christiane Jähnert.

Umso schlimmer, wenn dazu noch ständig „Störfeuer“ von außen auf die Klinikpflege einprasselten. Im Zuge neuer Vergütungsmodelle für die Pflege würden sich die Kliniken gerade gegenseitig die Leute abwerben. Hausrechte würden nicht mehr eingehalten, Werbeflyer quasi bis in die Stationen gestreut und schon mal Prämien von mehreren Tausend Euro für einen Wechsel in Aussicht gestellt. Auch in Bad Berka kommen die aggressiven Avancen inzwischen an. Hier wünsche sie sich mehr Engagement der Politik, um die Branche zu befrieden, sagt Jähnert.

Dabei hat die Pflegechefin auch die Kollegen anderer Pflegebereiche im Blick. „Kliniken bekommen nahezu alle Ausgaben für zusätzliche Pflegestellen vollumfänglich von den Kassen erstattet. Dies führt im Moment zu riesigen Staubsaugereffekten aus diesen Bereichen heraus in die Kliniken.“ Innerhalb des Gesundheitswesens schneidet man sich damit ins eigene Fleisch“, sagt Jähnert.

Jeder Pfleger, der aus Altenheimen und ambulanten Pflegeeinrichtungen zu den Kliniken abwandere, fehle an der bisherigen Arbeitsstelle und erschwert die Nachversorgung. Statt den teilweise öffentlich geführten, aggressiven Abwerbekampagnen Einhalt zu gebieten, drehe sich die Spirale immer weiter.

Plakat-Proteste einiger Kollegen beim jüngsten Besuch von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) in der Zentralklinik richteten sich nach Meinung von Christiane Jähnert vor allem an die Politik, sich einer weiteren Kommerzialisierung und Privatisierung des Gesundheitswesens kritisch gegenüber zu stellen. Im eigenen Hause bemühe man sich um ein gutes und vertrauensvolles Arbeitsklima. Wenn ihr Kollegen zu verstehen gäben, dass sie gern in Bad Berka arbeiten, freue sie das. Eher zum Haareraufen findet sie dagegen die teils langen Wartezeiten für ausländische Kollegen auf eine Zulassung. Einen Syrer, der in seiner Heimat vier Jahre studiert habe, könne sie deshalb nur als Hilfskraft beschäftigen.

Es geht nicht nur um bessere Bezahlung

Wichtig ist Christiane Jähnert, dass in den Diskussionen über die Krankenhäuser die Pflege nicht ständig allein im Fokus steht. Zur Krankenhusbehandlung gehören das diagnostische Team ebenso wie Medizintechnik oder Ärzte. „Krankenhaus ist ein interdisziplinäres Zusammenspiel von ganz vielen Akteuren“, sagt die Pflegedirektorin.

Auch für das eigene Selbstverständnis hat Christiane Jähnert einen Pflegeleitfaden verfasst. In ihrem ganzheitlichen Modell umfasst Pflege nicht nur Waschen, Kleiden und Essen reichen, sondern auch Organisation, Koordination und Kooperation, das Miteinander von medizinischem Personal, Patienten und Angehörigen. „Die Pflege ist rund um die Uhr beim Patienten. Genauer kann man einen Patienten nicht kennenlernen und beurteilen “, sagt Jähnert. Jeder Kranke komme mit seiner eigenen Lebensgeschichte, seinen alltäglichen und sozialen Erfahrungen.

In den wenigen Tagen seines Aufenthaltes müsse man ihn irgendwie erreichen, ganz egal, ob er einen anderen kulturellen Hintergrund hat, aus bäuerlichen oder akademischen Umfeld abstamme oder vielleicht unter Demenz leide.

Wie aber kommt Pflege wieder in ein anderes, positiveres Fahrwasser?

Der erste Schritt für sie wäre eine Art grüner Tisch, an dem Gesundheitspolitik und Akteure vor Ort gemeinsam darüber nachdenken, was wirklich gut ist für die Pflege, sagt Christiane Jähnert. Es gehe dabei nicht allein um eine bessere Bezahlung und schon gar nicht um Gesetzesdiktate aus Berlin wie etwa die Pflegepersonaluntergrenzen. „Qualität muss sich bezahlbar machen, nicht Bürokratie oder Dienst nach Schema F“, sagt die Pflegedirektorin. Warum sollte eine Station, die zwar eine Schwester weniger aufbietet, dafür aber mit drei Hilfs- oder Servicekräften gut und wohl durchdacht aufgestellt ist, nicht ebenso gut arbeiten können. An dieser Stelle erhoffe sie sich, dass genauer hingesehen und evaluiert wird. Statt dessen kämen ab Januar 2020 neue Bereiche hinzu – für Jähnert „ohne Sinn und Verstand“.

Auch wegen solcher Vorgaben „von ganz oben“ erwartet Jähnert von der Landespolitik ein eigenes Profil bei der Gestaltung eines Umfeldes, das vor allem die Bedürfnisse der Bürger in der Region berücksichtigt. Sie selbst stehe für eine Pflege, die den Rücken frei hat, um auf dem neuesten Stand der medizinischen Erkenntnisse gute Arbeit zum Wohle der Patienten zu machen. Dann würden vielleicht auch wieder mehr junge Menschen Interesse am Beruf finden.

Beim Klettern heißt es, Gebirge sind stumme Meister und machen schweigende Schüler. Wo Personal und Patienten spüren, dass die Behandlung das bestmögliche Ergebnis bringt, müsse man nicht viele Worte machen.

„Deutschland braucht Pflegekräfte“

Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend startet eine bundesweite Kampagne für die Gewinnung von Pflegekräften. Unter dem Motto „Mach Karriere als Mensch!“ sollen sowohl junge Menschen angesprochen werden, die auf der Suche nach einer passenden Ausbildung oder einem Studium sind, als auch Erwachsene mit dem Wunsch nach einer beruflichen Neuorientierung. Die Kampagne ist Bestandteil der „Ausbildungsoffensive Pflege bis 2023“. Zustimmung kommt vom Verband privater Anbieter sozialer Dienste (bpa) mit 250 Mitgliedsbetrieben in Thüringen. „Wir brauchen in Zukunft deutlich mehr Auszubildenden im Bereich Pflege, um eine flächendeckende Versorgung in Deutschland zu erreichen“, sagt Verbandspräsident Bernd Meurer.

Das sagen die Parteien

CDU: Die Partei will pflegende Angehörige unterstützen und entlasten, beispielsweise durch den Ausbau der Kurzzeit- und Verhinderungspflege. Im Wahlprogramm stehen zudem die Unterstützung von Einrichtungen der Alten- und Behindertenpflege und der Kliniken bei der Gewinnung von Pflege- und Betreuungskräften sowie die Verbesserung der Verdienstmöglichkeiten in der Pflege.

Linke: Angekündigt wird eine Pflegeoffensive für das ganze Land. Dabei setzt die Partei auf den Thüringer Pflegepakt, auf selbst organisierte und wohnortnahe Angebote für Pflegebedürftige und Angehörige sowie auf barrierefreie kommunale Pflegeberatungsstellen. Pflegende Angehörige sollen gestärkt und die Pflegeversicherung mittelfristig in eine Pflegevollversicherung überführt werden.

SPD: Ein 7-Punkte-Programm soll den Pflegenotstand verhindern. Dazu gehören die Verbesserung der Ausbildung, der Ausbau einer berufsbegleitender Weiterbildung zur Fachkraft, ein allgemeinverbindlicher Tarifvertrag in der Altenpflege, Bürokratieabbau, betriebliche Mitbestimmung, die Integration von Migranten in die Pflegeberufe sowie verbindliche Personalschlüssel in Pflegeheimen.

AfD: Die Situation für die häusliche und stationäre Pflege soll verbessert werden. Erwachsene Kinder sollen sich bewusst für die Pflege ihrer Eltern entscheiden können. Mittels einheitlichem Flächentarifvertrag für Pflegeberufe und einer Steigerung der branchenbezogenen Mindestvergütungshöhe soll die Attraktivität der Pflegeberufe steigen. Die Akquise von Pflegekräften aus dem Ausland soll sich streng am Bedarf des hiesigen Arbeitsmarktes orientieren.

Grüne: Der Thüringer Pflegepakt soll evaluiert und fortgeschrieben sowie zur besseren Personalgewinnung genutzt werden. Flächendeckende, unbürokratische Beratungsangebote im Land will man ausbauten und Bundesgesetze zur Verbesserung der Pflege konsequent umsetzen. Unterstützt werden die Einführung eines Personalschlüssels in der Alten- und Krankenpflege, ein Branchentarifvertrag sowie die Gründung einer Pflegekammer.

FDP: Die selbstbestimmte Pflege soll gestärkt und die Arbeitsbedingungen der Pflegekräfte und Einrichtungsträger durch Abbau von Bürokratie, leistungsgerechte Vergütungen und einen akzeptablen Personalschlüssel verbessert werden. Nachweislich qualifizierte Nicht-EU-Bürger sollen einfacher zugelassen werden.