Erfurt. Im Interview erklärt Thüringens Justizminister Dirk Adams (Grüne), wie er sich eine direkte Bürgerbeteiligung bei Entscheidungen zu Corona-Regelungen vorstellt.

Das Prinzip geloster Räte gab es schon in der Antike. Seit einigen Jahren wird es als neue Form von direkter Bürgerbeteiligung entdeckt. Jetzt soll in Thüringen ein Bürgerrat bei den Entscheidungen zu Corona-Regelungen mitreden können. Fragen dazu an Thüringens Justizminister Dirk Adams (Grüne). Alle aktuellen Entwicklungen im kostenlosen Corona-Liveblog

Sie werben schon seit Längerem für einen Corona-Bürgerrat, jetzt soll es in dieser Woche im Kabinett Bewegung geben?

Zumindest ist es das Ziel. Derzeit laufen die Ressortabstimmungen. Ich gehe von der Einrichtung eines Gremiums mit 40 bis 50 Bürgern aus. Das ist die Größenordnung, ab der die Thüringer Bevölkerung repräsentativ abgebildet werden kann. Kriterien für die Vorauswahl sollten neben Alter, Geschlecht, Wohnort auch Bildungsabschlüsse sein.

Es gibt bereits einen Expertenrat, der die Regierung in Corona-Fragen berät. Was sollte ein Bürgerrat besser können?

Es bringt das unverfälschte Alltagswissen ein. Experten beraten mit dem Hintergrund ihres fachlichen Wissens, aber wir brauchen auch Rückmeldungen von Menschen, die die Situation eben nicht aus fachlicher Perspektive reflektieren. Natürlich bekommen wir als Politiker auch Meinungsäußerungen von Bürgern. Doch die Stärke eines Bürgerrates besteht darin, dass er als repräsentativer Querschnitt der Bevölkerung Fragen diskutiert und sich dann auf eine Empfehlung einigt. Das hat eine ganz andere Qualität, als eine einzelne Wortmeldung.

Welche Themen wären das?

Das sollte nicht sehr eingeschränkt werden. Aber ich kann mir vorstellen, dass Impfungen diskutiert werden, Schulabschlüsse, wie derzeit Schule erlebt wird, wie die Vereinbarkeit von Homeoffice und Kinderbetreuung. Aus den Erfahrungen werden sich dann Forderungen ergeben.

Und weiter? Ein Bürgerrat ist ein Beratungsgremium. Wer verspricht, dass alle Ergebnisse nicht am Ende in einer Schublade verschwinden?

Das könnten wir uns als Landesregierung gar nicht leisten, wenn wir dieses öffentliche Forum ausdrücklich wollen. Die Ergebnisse werden in unsere Beratungen einfließen, auch der Landtag und der Corona-Expertenrat sollen eingebunden werden. Natürlich hat man als Politiker immer auch Herzklopfen, wenn Entscheidungen einer solchen Bewertung unterzogen werden. Aber die Erfahrungen aus früheren Bürgerräten haben gezeigt, dass dabei immer realistische Vorschläge herauskamen.

Die FDP hat das Projekt als Alibi-Veranstaltung abgetan und darauf verwiesen, dass der Landtag zu wenig in die Entscheidungen der Corona-Regelungen einbezogen ist. Wäre es nicht angesagt, erst einmal an dieser Stelle nachzuschärfen?

Alibi-Veranstaltungen können wir billiger haben. Ich kann die Kritik der FDP nicht nachvollziehen. Wir haben uns darauf geeinigt, dass vor jeder neuen Corona-Verordnung die Fachausschüsse des Landtags ihre Stellungnahmen abgeben können, die Abgeordneten sind beteiligt.

Es gibt viel Kritik an den Corona-Maßnahmen, auch von der Straße. Hofft man, mit einem Bürgerrat Druck aus dem Kessel zu bekommen?

Darum geht es nicht. Aber die Einschnitte in die Grundrechte sind zum Teil massiv, und die Bürger erwarten zu Recht, dass sich eine Landesregierung dafür interessiert, wie sie das erleben.