Erfurt. Mit seinem neuen Roman „Das Leben der Elena Silber“ war Alexander Osang am Mittwoch bei der Erfurter Herbstlese zu Gast.

Jede Familie hat ihre Schicksalgeschichten. Auch wenn ihre Konturen mit jeder Generation an Schärfe verlieren: Umerzählt, verschwiegen, interpretiert. In der Familie von Alexander Osang ist es die Geschichte seiner russischen Großmutter. „Das Leben der Elena Silber“: Am Mittwoch war er mit seinem neuen Roman Gast der Herbstlese in Erfurt. Die Geschichte einer Frau, die 1905 als Kind aus einem russischen Provinznest flieht, nachdem ihr Vater, ein Revolutionär, ermordet wird. Die einen Deutschen heiratet, fünf Töchter zur Welt bringt, nach Berlin flüchtet während in der Sowjetunion der stalinistische Terror seinen Lauf nimmt. Ein Roman, der im zaristischen Russland beginnt und im Berlin der Gegenwart endet. Ein Jahrhundertstoff. Und ein Buch, das der preisgekrönte Reporter sein „grundsätzlichstes und privatestes“ nennt.

Und so changiert das von Frank Quilitzsch, Kulturredakteur dieser Zeitung, moderierte Gespräch zwischen den Tönen. Denn dieser Roman ist auch die Geschichte einer Familie. Über Erwartungen, Selbstbilder und Selbstbetrug, über den Kampf um Mutterliebe, über das Schweigen, wie man umgeht mit dem Vergessen am Ende eines Lebens. Er wollte, so der Autor, ausloten, was Familien prägt. Wie vergangene Leben in gegenwärtige hineinwirken, weil Verletzungen und Ängste von einer Generation zur nächsten weitergetragen werden. Jede Familie, ließe sich in Anlehnung an Tolstoi sagen, ist kompliziert auf ihre Weise. Es ist auch ein Gespräch über das Schreiben. Osang erzählt von den Reisen in die Heimat seiner „Baba“. Um zu erfahren, wie der russische Sommer riecht und wie sich die Kälte des Winters anfühlt. Von unbeantworteten Fragen, von Leerstellen und den Vorzügen eines Romans, sie zu füllen oder auch nicht. Wie nahe die Figur des Konstantin, Elenas Enkel, dem Autor tatsächlich ist, bleibt offen. Das kann es auch, es ist keine Reportage, es ist ein Roman. Ein tiefer, ein sehr dichter Roman. Einer, so vermutet der Moderator, der vielleicht in West und Ost verschieden gelesen wird, weil er gebrochen wird auch von den Biografien seiner Leser. Gut möglich, dass er recht hat.

Nächste Veranstaltung: Terézia Mora, „Auf dem Seil“, heute, 20.15 Uhr, Buchhandlung Hugendubel in Erfurt