Drei Gleichen. Rund um die Gemeinde Drei Gleichen sollen herkömmliche Obstsorten überleben. Sie tragen Namen wie Gute Luise oder Gloria Mundi

Tobias Schill hatte nicht die geringste Ahnung, dass am Reformationstag hinterm Seeberger Kindergarten Obstbäume gepflanzt werden. Wegen des sonnigen Wetters marschierte er mit Frau und Kind zum Spielplatz. Mario Pudenz wusste von der Aktion. In erster Linie wollte er vom Fachmann erfahren, wie denn der alte Kirschbaum in Opas Garten zu retten sei. Am Ende halfen beide Männer tatkräftig bei der Baumpflanzaktion. Weil sie sich einig sind, dass dies eine gute Sache ist. Und sie ist in erster Linie für jene initiiert, die aufgeregt auf der alten Streuobstwiese an diesem Vormittag herumquirlten, die Kinder nämlich, die in einigen Jahren die leckeren Früchte kosten können.

Für jedes Baby im Ort ein junger Baum

Es sei Tradition, am Reformationstag den Spaten in die Hand zu nehmen, um eine kostbare Zukunft zu pflanzen, wie Thomas Penndorf vom Lebensgut in Cobstädt betont. Er meint das so doppeldeutig, wie es klingt: Kostbar, weil alte Obstsorten auf diese Weise erhalten werden. Und kostbar, weil gewollt ist, dass die Früchte auch gepflückt werden. Die Initiatoren, die Vereine „Eine neue Erde“ und Lebensgut Cobstädt, der Kindergarten Seebergen und die Gemeinde eint eine Idee. Sie wollen für jedes Neugeborene im Ort einen Geburtsbaum pflanzen – als Ausdruck von Heimatverbundenheit und als Gabe für die Zukunft. „Wir haben uns am Reformationstag das Ziel gesetzt, 30 Obstbäume in die Erde zu bringen“, sagt Penndorf. In der Gemeinde Drei Gleichen sollen es einmal eintausend Sorten sein, so das Ziel der Partner.

„Für die heutige Pflanzaktion haben wir alte Sorten ausgesucht, die ihren Ursprung in der Rhön haben. Das sind wirkliche Raritäten.“ Gepflanzt wurden auch Bäume, die Opa und Oma noch zu schätzen wussten, wie Gloria Mundi, Königinnenapfel, Prinzenapfel oder Riesen-Oiken. Unter den Birnen finden sich Gute Luise und Gräfin von Paris. Thomas Penndorf verweist darauf, dass zum Beginn des 19. Jahrhundert um Seebergen herum ein Gürtel aus Obstbäumen angepflanzt worden war. Einige dieser Bäume seien noch vorhanden, die meisten längst verschwunden.

Damals spielten sie eine wichtige Rolle in der Ernährung. Heute kommt Obst vorwiegend aus dem Supermarkt. „Und das bedeutet, die Kulturpflanzenvielfalt schrumpft dramatisch. Daher ist es uns wichtig, die Obstvielfalt zu bewahren, gerade für künftige Generationen.“ Dass Penndorf und Mitstreiter auf offene Ohren stoßen, zeigte die Aktion am Donnerstag. Vornehmlich junge Familien aus Seebergen und anderen Drei-Gleichen-Orten, aber auch aus Gotha und Erfurt machten mit.

Wegzehrung für Pilger

Obwohl Familie Schill eher zufällig dazu gestoßen war, hatte sie viel Spaß bei der Sache. Martin Straube aus Seebergen hat zwei Kinder. Wenn sie in den Kindergarten des Dorfes gehen, profitieren auch sie von den Obstbäumen. Sie können sie von der Blüte bis zur Frucht beobachten und am Ende die Äpfel, Birnen und Pflaumen kosten. Und die schmecken nach Früchten, die es im Supermarkt nicht zu finden gibt.

Nicht nur Streuobstwiesen entstehen auf diese Weise, auch entlang des Jakobsweges durch den Landkreis Gotha wurden in den vergangenen Jahren zahlreiche seltene Sorten gepflanzt, auch als Wegzehrung für Pilger. Bislang beläuft sich die Zahl aller gepflanzten Obstbäume auf beachtliche 800.

So, wie die Vielfalt der Kulturpflanzen schwindet, verliert auch das dörfliche Leben an Tradition und Qualität. Nur noch ein geringer Prozentsatz der Nahrungsmittel kommt aus der Region. Das könne man nicht tatenlos hinnehmen, sagt Penndorf und suchte bei der Pflanzaktion das Gespräch mit Olaf Broneske, dem 1. Beigeordneten der Gemeinde Drei Gleichen. Ebenso ist der Mann Vorstandsvorsitzender der Agrargenossenschaft in Mühlberg. Thomas Penndorf lud ihn ein, gemeinsam darüber nachzudenken, mehr landwirtschaftliche Produkte direkt in der Region zu vermarkten. Zur Ideenfindung schlug er dem Landwirt vor, ein Symposium zu organisieren, in dem Unternehmen von ihren Erfahrungen der Direktvermarktung berichten und gemeinsam Möglichkeiten und Wege diskutiert werden.

Nachdem Mario Pudenz „seinen“ Apfelbaum gepflanzt hat, bringt er sein Anliegen zur Sprache. Als junger Mann habe sein Großvater am Seeberg einen Garten angelegt. „Den habe ich mit meinen Söhnen wieder auf Vordermann gebracht. Sorgen macht mir allerdings ein Kirschbaum. Dessen Früchte sind ausgesprochen lecker. Nur tragen noch lediglich zwei Äste. Und es ist absehbar, wann der Stamm zusammenbricht.“ Thomas Penndorf erklärt dem Seeberger, wie durch Veredeln die Kirschsorte zu retten ist. „Rufen Sie mich im Januar an. Ich komme dann zu ihnen und erledige das für Sie“, verspricht er. Und am Reformationstag 2020 ist er ebenfalls wieder in Seebergen: Dann nimmt die Pflanzaktion ihren Fortgang.