Erfurt. Arbeiten zu Reichsbürgern, NS-Lebensborn und zu verfolgten Frauen in der DDR siegen beim Schülerwettbewerb der Stiftung Ettersberg. Sonderpreise gehen nach Erfurt, Vacha, Weimar und Bad Berka.

Wer oder was sind die Reichsbürger, warum legen sie sich mit dem Staat an und welche Zusammenhänge gibt es zwischen der Reichsbürger-Ideologie und der allgemeinen Empfänglichkeit für Verschwörungstheorien?

Für ihre Untersuchung mit dem Titel „Reichsbürger in Deutschland – gefährliche Blindgänger?“ haben die Gymnasiasten Benedikt Bathe, Hanna Noemi Kleinert, Johannes Nowesky und Pia-Elise Sicker von der Edith-Stein-Schule in Erfurt am Dienstag den 1. Preis beim diesjährigen Schülerwettbewerb der Stiftung Ettersberg entgegen genommen.

Die Jury aus Pädagogen, Historikern und Journalisten, darunter auch Vertreter dieser Zeitung, begründete ihre Wahl mit der vielschichtigen Herangehensweise der Jugendlichen an das Phänomen der Reichsbürger sowie deren Genese, Weltsicht und Konfliktpotential. Insbesondere Personen, die das situative Gefühl des Kontrollverlustes erlebten, seien empfänglich für die Reichsbürgerideologie.

Fortschreitende Pathologisierung führe zur weitgehenden Immunisierung gegenüber Kritik und Widersprüchen. „Reichsbürger delegitimieren den Staat. Sie mit wissenschaftlichen Argumenten zu überzeugen oder zum Umdenken zu bringen, gelingt nur in den seltensten Fällen, da die Akteure von sich meinten, die absolute Wahrheit zu kennen“, schreiben die Schüler. Überzeugt habe die Jury nicht zuletzt eine von den Schülern entwickelte Unterrichtseinheit, mit der ihre Erkenntnisse an Gleichaltrige weitergegeben werden können.

Aufwändig recherchierte Biographien der betroffenen Kinder

Der 2. Preis ging an Almire Ibrahimi, Isabell König, Juliane Wesser und Tanja Wilde vom Karl-Theodor-Liebe-Gymnasium in Gera für eine Seminarfacharbeit zum nationalsozialistischen „Lebensborn“.

Der 2. Preis ging an Almire Ibrahimi, Isabell König, Juliane Wesser und Tanja Wilde. Minister Holter gratuliert. Foto: Hanno Müller
Der 2. Preis ging an Almire Ibrahimi, Isabell König, Juliane Wesser und Tanja Wilde. Minister Holter gratuliert. Foto: Hanno Müller © Hanno Müller

Besonders beeindruckt zeigte sich die Jury hier von den aufwändig recherchierten Biographien der damals unmittelbar betroffenen Kinder. „Die Arbeit fragt nach den Konsequenzen einer nach ideologischen Grundsätzen geplanten Geburt und Kindheit für die Lebensbornkinder und sieht es darüber hinaus als Aufgabe, dem vorherrschenden Unwissen zu diesem Teil deutscher und europäischer Geschichte aktiv entgegenzutreten“, so die Begründung für den Preis.

Ein persönlicher Bezug ergab sich zudem aus der unmittelbaren Betroffenheit einer Großmutter, über die sich auch der Kontakt zu weiteren Lebensborn-Kindern aufbauen ließ. Bei der Arbeit handele es sich nicht nur um eine historisch ausgerichtete Forschungsarbeit, sondern auch um eine Bestandsaufnahme der jüngeren deutschen Geschichte, da familienbiographische Brüche und Zwiespälte greifbar werden, so Laudator und Jury-Leiter Frank Biewendt bei der Preisverleihung im Kubus der Gedenkstätte Andreasstraße in Erfurt.

Mit stilistischer Klarheit und Sensibilität schafften es die vier Ostthüringer Autorinnen, die menschlichen Schicksale ungeachtet der wiederholten politischen und gesellschaftlichen Systembrüche in den Mittelpunkt zu stellen und langfristige Folgen der deutschen Diktaturerfahrungen anhand einer bis heute wenig bekannten Betroffenengruppe zu verdeutlichen.

Hohe Selbstmotivation der jungen Autorinnen

Um die spezielle Situation von politisch verfolgten Frauen im DDR-Frauengefängnis Hoheneck geht es in der Preisträgerarbeit von Lilli Bieler, Florine Schack, Arthur Sonnefeld, und Alexis Urtecho Valverde aus der Jenaplan-Schule in Jena.

Alle Gewinner im Gruppenbild. Foto: Hanno Müller
Alle Gewinner im Gruppenbild. Foto: Hanno Müller © Foto: Hanno Müller

Den 3. Preis begründete die Jury mit viel eigenem Engagement und großer Selbstmotivation der jungen Autorinnen, die individuelle Hafterfahrungen der Betroffenen in den Mittelpunkt ihrer Untersuchungen und Zeitzeugeninterviews stellten. Besonderes Augenmerk legen sie dabei auf Auswirkungen der Hafterlebnisse auf das Leben nach dem Strafvollzug. Wenig präsente Aspekte im Unrechtsstaat DDR würden so in herausragender Weise bearbeitet, so der Laudator.

Auch in diesem Jahr durften sich wieder mehrere junge Forscherteams verschiedener Gymnasien über Sonderpreise für hervorhebenswerte Aspekte wie etwa einen besonderen Gegenwartsbezug oder die engagierte Spurensuche im eigenen regionalen Umfeld freuen. Gewürdigt wurden so Lina-Laetitia Gebhardt, Elias Huff, Timo Reidenbach, Henriette Reinsch Edith-Stein-Schule Erfurt für die Arbeit „Die Zigeuner und wir - Wie der Antiziganismus Sinti und Roma bedroht“; André Blank, Jennifer Fischer und Simon Schwert vom Johann-Gottfried-Seume-Gymnasium Vacha für die Arbeit „Es ist nur zu Ihrem Besten – Wenn die Heimat zum Verbot wird. Die Zwangsaussiedlung im Geisaer Amt am Beispiel der geschleiften Höfe“; Kristian Donges, Paul Hagen Freyer und Klara Elinor Scholz vom Staatliches Gymnasium „Johann Wolfgang von Goethe“ in Weimar für die Arbeit „Die Olympischen Spiele von 1936 - Sportliches Kräftemessen und Propagandamaschine zur Verherrlichung und zur Stabilisierung des nationalsozialistischen Staates“; Tia Abschlag, Ying Chen und Luise Würfel vom Staatliches Gymnasium „Johann Wolfgang von Goethe“ in Weimar für die Arbeit „Sicherheit in der DDR – für den Staat oder für die Bürger? Eine Auseinandersetzung mit dem Verhältnis zwischen Individuum und Staat“ sowie Gina Grünke, Zoe Klein, Leah Trefflich und Alexandra von der Weiden vom Marie-Curie-Gymnasium in Bad Berka für die Arbeit „Jugend in den 70er und 80er Jahren im Weimarer Raum der DDR – Bedrohung für den Staat?“.

Die meisten Schüler waren selbst zur Preisverleihung nach Erfurt gekommen. Wegen einer Klassenfahrt der Verfasser der mit dem 3. Preis geehrten Arbeit wurden Urkunden und Preisgeld gemeinsam von den Müttern der Jenaer in Empfang genommen.