Bad Langensalza. Das Euro-League-Rückspiel des THC elektrisiert. Die Thüringer möchten Geschichte schreiben. Graz ruft.

Parade, Wurf über das gesamte Feld, drin. Nächste Parade, neuer Versuch über 40 Meter ins leere Tor, wieder drin. Nicht viel, und Rinka Duijndam hätte den THC-Handballerinnen die Suppe versalzen. Für einen Moment drehte Solas Torfrau mit ihren zwei Treffern zum 34:33 und einer folgenden Glanztat das Duell gegen ihren früheren Verein. Um nach einem Zwei-Tore-Plus Sekunden vor der Sirene das 35:35 schlucken zu müssen.

Es gab Tage, da hätte die Niederländerin so ein Ausgang beschäftigt. Das Hinspiel im European-League-Viertelfinale ist indes abgehakt. Sie schaut aufs Rückspiel. „Ich hab’s immer geliebt, hier zu spielen“, freut sie sich auf die Salzahalle, die THC-Fans und die Atmosphäre. Es wird eine Reise in die Vergangenheit, in der sie am Scheideweg stand.

Gut ein Jahr ist es her, als der stets froh gelaunten jungen Frau alles zu viel wird, sie dagegen kämpft, aber nicht ankommt. Bis die Psychologin sagt: Du darfst nicht mehr zur Mannschaft, sonst wird’s nie besser.

„Das zu akzeptieren ist so schwierig“, erinnert sich Rinka Duijndam. Es hinterließ das Gefühl, die Mannschaft im Stich zu lassen. „Ich habe mich einfach schlecht gefühlt,“, berichtet sie von der Schwierigkeit, selbst damit umzugehen, krank zu sein. Geschweige denn, es anderen erklären zu können. „Ich denke, wenn man körperlich verletzt ist, es ist es einfach. Aber es ist schwer zu sagen, der Kopf funktioniert nicht mehr. Viele Menschen verstehen es nicht. Das ist aber auch gut. Weil es bedeutet, dass sie es nicht kennen.“

Woher es rührte, kann die 25-Jährige gar nicht sagen. Druck sei nicht das Problem gewesen. Viel kam zusammen. Das olympiabedingt späte Hinzustoßen zum THC-Team, eine schwere Saison, die Vorserie bei Dortmund, der Anspruch, das Ich. „Ich denke, ich habe zu allem ja gesagt. Alles musste perfekt sein, in jedem Moment, selbst der Einkauf im Supermarkt.“ Etwas zu vergessen, ein Unding. „Irgendwann ist man müde von sich selbst.“ Das Gefühl wünschte sie niemandem.

Umso dankbarer ist die Torhüterin dem Thüringer HC. Der Verein habe super reagiert, keinen Druck gemacht – und „mir immer das Gefühl gegeben, dass ich das Wichtigste bin“. Es hat mir gutgetan, sagt die Nationaltorhüterin. Heute kann sie offen darüber sprechen.

Im vergangenen Sommer spürte sie, dass ihr Burnout vorbei ist. Der Weg war schwer. Es war einer des Lernens du wird einer des Lernens bleiben. „Es ist okay, auch mal einen schlechten Tag zu haben“, findet sie seither. „Das Wichtigste, was ich gelernt habe, ist, dass ich mir Zeit gönne und Acht auf mich gebe.“

Der THC half dabei, das Umfeld, die Zeit. Und auch Sola. „Es ist der richtige Klub gewesen, um wieder Spaß am Handball zu bekommen. Es ist megaschön hier“, sagt Rinka.

Sie lebt in Sola. Ein Steinwurf, und sie ist mit ihrem Hund in der schroffen wie anziehenden Natur. Zwanzig Autominuten sind es bis Stavanger. Irgendwann muss sie – nicht so weit weg – auf den Prekistolen. Eine Felsformation wie eine Kanzel 600 Meter über dem Fjord. Die Aussicht von dort ist gigantisch und lässt die junge Frau strahlen wie die Rückkehr nach Thüringen.

Am Samstag wird sie anreisen. Sie ist die einzige Ausländerin beim Dritten der norwegischen Liga und hofft, nach dem Viertelfinal-Aus der Vorserie Geschichte zu schreiben. Das Remis lässt alle Möglichkeiten.

Das Rückspiel wird ein anderes. Rinka Duijndam wünscht es sich. 35-mal hinter sich greifen zu müssen stellt für eine Torhüterin kein Ruhmesblatt dar, auch wenn sie zwölf Bälle wegfischte. „Ich hoffe, dass es nicht wieder so viele Gegentore werden“, sagt sie.

THC-Trainer Herbert Müller wäre es hingegen recht, schlüge seine Offensive um die im Hinspiel treffsicheren Schützinnen wie Annika Lott (10 Tore) und Nathalie Hendrikse (8) noch einmal so zu. Aber die Abwehr „muss diesmal besser stehen, viel kompakter“, fordert er.

So eine Anfangsphase wie in Stavanger kann sich sein Team kaum noch einmal erlauben. Nicht immer kann es klappen, ein 3:11 aufzuholen. Zweimal schaffte der THC das; gegen Valcea in der Gruppenphase und vor einer Woche bei Sola. Das Glück ist schon strapaziert worden.

Darauf ankommen lassen wollte es Müller genauso wenig wie seine Spielerinnen. Sola hätte am oberen Level gespielt. „Aber wir können uns noch steigern“, formulierte es THC-Kapitänin Annika Niederwieser nach dem Duell so treffend wie auffordernd Richtung Heimspiel.

Motivieren muss Herbert Müller ebenso niemanden wie Sola-Coach Steffen Stegavik. Der Traum von der ersten Final-Four-Teilnahme lebt an der Salza wie am Hafrsfjord. Er elektrisiert.

„Das hat niemand von uns vorher erwartet“, meint „Siebenmeter-Königin“ Nathalie Hendrikse, „Aber jetzt, wo wir so weit sind, wollen wir nach Graz“, spricht sie ihrer Landsfrau im Solaer Kasten aus der Seele. Wer gewinnt, darf weiter träumen. So einfach, so schwer, so prickelnd.

Rinka Duijndam täte freilich alles dafür, um am 13./14. Mai nach Österreich reisen zu können. Ihr Ehrgeiz hat die aus Wateringen stammende Handballerin zu dem gemacht, was der WM-Titel 2019 krönte. Er ist ungebrochen.

„Ich habe voll Bock auf das Spiel. Bock darauf, alles zu geben. Wenn wir das hinbekommen, ist es keine Schande, sollte es nicht klappen“, sagt sie. Ganz auf sich fokussiert, ruhiger im Kopf, etwas nervös. Mit ei­nem Lächeln. Es ist zurück. Und die Vorfreude aufs Wiedersehen groß.

Thüringer HC – Sola HK, Sonntag, 14 Uhr, Salzahalle, Bad Langensalza