Steffen Eß

Noch 17 Monate bis zum Anpfiff der Wüsten-WM. Und die Stadionbaustellen von Katar erscheinen auch im Spiegel der Corona-Krise in einem krankhaften Zustand. Mit einem 51 Jahre alten Fachingenieur gibt es seit voriger Woche den ersten Covid-19-Toten. Es war nur eine Frage der Zeit.

Mehr als eintausend Infizierte in den vergangenen Monaten, davon noch gut einhundert aktive Fälle. Gemessen an den von Amnesty International geschätzten 40.000 Arbeitsmigranten vielleicht im Moment eine kleine Zahl, aber eine mit großem Risiko. Da helfen die ohnehin spät verschärften Sicherheitsmaßnahmen mit Maskenschutz, Abstandsregeln, zweimaliger Körpertemperaturmessung und dem Abziehen von Personen aus Hochrisikogruppen wenig.

Wo viele Menschen auf sehr dichtem Raum hausen und arbeiten, dann noch unter Bedingungen, die Menschenrechtsorganisationen seit Jahren als katastrophal kritisieren, ist die Gefahr einer Ausbreitung des Virus gewaltig. So wie der Aufschrei, der von jeher mit der Vergabe des Fifa-Turniers an das Scheichtum verbunden war.

Die Winter-Weltmeisterschaft in dem Emirat am Persischen Golf ist und bleibt ein Vergehen: am Sport, am Fußball, an der Natur und Tausenden von Gastarbeitern, die in der Gluthitze des 25. Breitengrades die Lustschlösser der Scheichs errichten. Sie kommen vorwiegend aus Nepal und Indien, in der Hoffnung auf ein bisschen Lohn.

Medienberichten zufolge kamen von ihnen 1400 ums Leben. Stand 2019, trotz angekündigter Reformen der katarischen Regierung. Nach einer Schätzung des Gewerkschaftsbundes, die unter anderem die „Zeit“ aufgriff, werden ohne Verbesserung der Situation bis zum WM-Beginn rund 4000 Arbeiter auf den Baustellen sterben. Wie viele Tote sind für eine Fußball-Weltmeisterschaft akzeptabel?

Rund 1,4 Milliarden Euro in Südafrika 2010, etwa drei Milliarden für den Bau und die Instandsetzung der zwölf Stadien in Brasilien, vier Milliarden investiert Katar in die acht Arenen. Mehr als 180 Milliarden fließen zudem in die passende Infrastruktur. Der Gigantismus schreitet voran. Für ein paar Wochen Fußball-Weltmeisterschaft – koste es, was es wolle.

Dabei wäre Brasilien warnendes Beispiel genug. Als Katar im März 2015 den Zuschlag für 2022 erhielt, war vieles von der proklamierten Nachhaltigkeit der brasilianischen WM-Ausrichtung aufgezehrt. Teuer, schlecht genutzt und Teil von Ermittlungen – so überschrieb der Deutschlandfunk vor zwei Jahren einen Beitrag zur Frage, was aus den zwölf WM-Stadien von 2014 geworden ist. Ein Teil weiße Elefanten, wie die kaum genutzten Hightech-Arenen bezeichnet werden, statt Heim eines bunten kulturellen Lebens. Sechs der zwölf Bauten waren Berichten zufolge 2015 schon geschlossen oder hatten arge finanzielle Probleme.

Schul-Unterricht in einer früheren Vip-Lounge in der sonst leeren Arena Cuiabá. Hochzeiten oder Heimtier-Basare in der Arena da Amazônia in Manaus, zu teuer für den lokalen Fußball, abgelegen im Dschungel und damit keine erste Wahl für Konzerte. Und das „Mane Garricha“ in Brasilia, das mit 380 Millionen Euro Baukosten damals teuerste Stadion? Zwischendurch ein Parkplatz für Busse – und seit Mitte Mai Not-Herberge für die Intensivbehandlung von Covid-19-Patienten.

Dass in der Hauptstadt mangels eines Profifußballvereins seit der Privatisierung der Stadionbetreibung Anfang des Jahres nur zwei Spiele stattfanden, führte zu der absurden Idee, die Carioca-Meisterschaft – die Stadtmeisterschaft von Rio de Janeiro – in Brasilia auszutragen. Das Finale vor gut einer Woche dann doch in einem Geisterspiel im Maracanã-Stadion von Rio stattfinden zu lassen, machte es angesichts der sich zuspitzenden Lage mit mehr als einer Million bestätigten Corona-Fällen im Land nicht besser.

Im Hochmut der Öl- und Gas-Milliarden setzt Katar gegen jedwede Nachnutzungskritik noch eins drauf. Die Neubauten werden so errichtet, dass sie verkleinert, oder ganz abgebaut und anderswo neu aufgestellt werden können. Von geschenkt ist die Rede.

Ein schillerndes Stadion als Hafen oder Oase in Doha, „Kühlschränke“ als Korbgeflecht oder in der Architektur einer Düne, einer Lagune. Unter anderem so nimmt er Gestalt an, der WM-Traum von Tausendundeiner Nacht.

Auf Sand gebaut.