Berlin. Die Berufsvorstellungen von Jugendlichen ändern sich nur langsam. Der Handwerkspräsident ist unzufrieden mit den fest gefügten Berufsbildern.

Manchmal sind es ganz banale Dinge, die den Unterschied machen. Bei Andrea Tschichholz ist es die Arbeitshose. Sie ist blau-schwarz und hat so viele Taschen wie andere Arbeitshosen auch. Es ist aber ein Modell speziell für Frauen.

„Darin sieht man nicht aus als würde man im Kartoffelsack stecken“, sagt Tschichholz. Noch wichtiger sei, dass ihr die Hose einfach passe. Sie sei froh, dass sie kein schlecht sitzendes Herrenmodell tragen müsse.

Andrea Tschichholz ist Meisterin im Installateur- und Heizungsbauerhandwerk. Das ist kein typischer Beruf für Frauen. „In der Berufsschule war ich das einzige Mädchen in der Klasse“, erzählt die 32-Jährige. Die Jungen hätten sie ungläubig angeschaut und sich gefragt, ob sie wirklich den ganzen Tag auf der Baustelle arbeite: „Die konnten sich nicht vorstellen, dass ich auch Rohre schneiden und mit Kollegen zusammen eine Badewanne ins obere Stockwerk tragen kann.“

Weniger als 1,5 Prozent der Auszubildenden in ihrem Beruf sind weiblich

Dass Tschichholz den Handwerksbetrieb ihrer Eltern in Berlin übernommen hat und jetzt in vierter Generation führt, ist untypisch. Noch immer sind weniger als 1,5 Prozent der Auszubildenden in ihrem Beruf weiblich. Die gute Nachricht ist: Der Anteil hat sich binnen zehn Jahren verdoppelt.

Wenn in diesen Tagen rund eine halbe Million Schulabgänger ihre Berufsausbildung beginnen, dann gibt es eine Konstante: die Geschlechtertrennung. Eine exklusive Auswertung des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) für unsere Redaktion zeigt, dass die allermeisten Mädchen und Jungen bei der Berufswahl noch immer den klassischen Rollenbildern folgen: Jungen reparieren Autos, Mädchen helfen in der Arztpraxis. Allein kaufmännische Berufe sind bei beiden Geschlechtern gleichermaßen beliebt.

Doch gleichzeitig wird deutlich: Es gibt etwas Bewegung, die Klischees beginnen aufzubrechen. Das Beispiel der Installationsmeisterin findet immer mehr Nachahmerinnen. Auch Jungen orientieren sich beruflich neu.

Viele Jugendliche schränken ihre Berufswahl ein

„Die Berufsvorstellungen von Jugendlichen ändern sich zwar langsam, aber sie ändern sich“, sagt Vize-Hauptgeschäftsführer des DIHK, Achim Dercks. Er glaubt: „Die Unternehmen können bei der Fachkräftesicherung auf sich wandelnde Rollenbilder hoffen.“ Dies sei jedenfalls punktuell erkennbar.

Trotzdem werde die Entwicklung dadurch gebremst, dass viele junge Männer und Frauen nur die jeweils zehn beliebtesten Ausbildungsberufe kennen würden. Dabei gebe es Hunderte von anderen Berufen. „Zu oft folgen Jugendliche jedoch Klischees und schränken deswegen ihre Berufswahl ein. Dadurch werden interessante Chancen erst gar nicht ergriffen“, meint Dercks.

Um die Veränderungen herauszuarbeiten, hat der DIHK die zehn beliebtesten Berufe von Mädchen und Jungen mit der Nachfrage des anderen Geschlechts danach verglichen. Das Ergebnis zeigt, dass es auf beiden Seiten immerhin in zwei der zehn Top-Berufe sichtbare Veränderungen gab.

So wollen mehr Mädchen als bisher den von Männern dominierten Beruf des Fachinformatikers ergreifen: Die Ausbildung stieg in der Beliebtheit um acht Ränge – von 41 im Jahr 2016 auf Rang 33 im Jahr 2018. Bei den Jungen liegt der Beruf aktuell auf Platz drei.

Junge Frauen entscheiden sich öfter für Kraftfahrzeugmechatronikerin

Demnächst wird es auch mehr Kraftfahrzeugmechatronikerinnen geben: Den Jungsberuf, der seit Jahren auf Platz eins steht, wählen immer mehr Mädchen. Die Beliebtheit stieg zwischen 2016 und 2018 von Platz 43 auf Platz 36.

Umgekehrt interessieren sich mehr Jungen als bisher für den Beruf des Zahnmedizinischen Fachangestellten. Bei Mädchen lag diese Ausbildung im Jahr 2018 auf Platz drei. Bei den Jungen rückte sie binnen drei Jahren immerhin von Platz 131 auf Platz 113 vor.

Ähnlich ist es mit der Ausbildung als Friseur: Bei Mädchen seit Jahren auf Platz sieben, stieg die Beliebtheit bei Jungen von Platz 41 im Jahr 2016 auf Platz 35. Das sind zwar sichtbare, aber keine grundstürzenden Veränderungen.

Auch Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer ist noch unzufrieden mit den fest gefügten Berufsbildern von Jungen und Mädchen. „Fast ein Fünftel der neuen Auszubildenden ist weiblich“, sagt er und fügt im gleichen Atemzug hinzu: „Da ist noch gehörig Luft nach oben.“

„Wir wünschen uns noch mehr weibliche Azubis.“

Der gelernte Malermeister hebt hervor, welche Ausbildungs- und Karrieremöglichkeiten Handwerksberufe bieten. Auch werde immerhin schon jede fünfte Meisterprüfung von Frauen abgelegt. Gleichzeitig muss Wollseifer aber eingestehen: „Dass diese Möglichkeiten auch und gerade jungen Frauen offenstehen, müssen wir noch stärker nach außen transportieren.“ Er wird noch deutlicher: „Wir wünschen uns noch mehr weibliche Azubis.“

Dass sich die Berufsbilder nur langsam verändern, hat eine Reihe von Gründen. Einen wichtigen nennt die Arbeitsmarktsoziologin Brigitte Schels von der Universität Erlangen-Nürnberg: „Schon mit acht Jahren haben Kinder klare Vorstellungen davon, ob ein Beruf eher männlich oder weiblich ist.

Sie beobachten, wer auf einer Baustelle arbeitet oder in der Arztpraxis hinter dem Tresen sitzt.“ Aktionen wie der Girl’s Day, bei dem Schülerinnen sich typische Männerberufe anschauen können, seien zwar gut und wichtig. Aber: „Die Gesellschaft wandelt sich langsamer als man denkt.“

Mädchen bringen in der Schule die besseren Leistungen

Dass die vorgelebten Rollenbilder allein als Erklärung für die fest gefügte Berufswahl nicht ausreichen, weiß auch Schels. Sie weist auf eine andere wichtige Entwicklung hin: Mädchen bringen in der Schule die besseren Leistungen. Die Folge davon ist, dass immer mehr junge Frauen Abitur machen und studieren.

Tatsächlich haben im Jahr 2014 erstmals mehr Frauen als Männer ein Studium begonnen. Der Trend hat sich auch 2018 fortgesetzt. Umgekehrt bedeutet das, dass Frauen immer häufiger einen Bogen um eine klassische Berufsausbildung machen, bei der sie parallel im Betrieb und an der Berufsschule ausgebildet werden.

Die Zahl der Bewerberinnen für eine solche duale Ausbildung sank in den vergangenen zehn Jahren um 20 Prozent, so steht es im Berufsbildungsbericht der Bundesregierung. Stattdessen wechseln viele Mädchen nach der Schule an eine Berufsfachschule, um dort in Gesundheits-, Erziehungs- und Sozialberufen ausgebildet zu werden.

Frauen haben schlechtere Chancen bei männerdominierten Berufen

Auch dafür gibt es Gründe. Der amtliche Berufsbildungsbericht verweist auf eine Studie des Wissenschaftszentrums Berlin, in der untersucht wurde, ob Frauen bei der Suche nach einem dualen Ausbildungsplatz benachteiligt werden.

Die Forscher fanden heraus, dass Frauen mit ihren Bewerbungen tatsächlich schlechtere Chancen haben, vor allem wenn sie sich auf männerdominierte Berufe bewerben . Männer, die frauendominierte Berufe wählen, werden dagegen nicht benachteiligt. „Die Chance für junge Frauen und Männer ist immer noch in den Berufen am größten, in denen jeweils das eigene Geschlecht überwiegt“, heißt es in dem Bericht.

Auch Installateurmeisterin Andrea Tschichholz wollte zunächst Physiotherapeutin werden. Doch direkt nach dem Abitur mochte sie sich nicht erneut wieder auf die Schulbank setzen: „Ich wollte etwas Praktisches machen und mit Menschen zu tun haben.“

„Wir quatschen ganz normal miteinander“

Ihre Eltern hätten ihr gesagt: „Probiere es doch bei uns im Betrieb.“ Ihre Lehre beendete Tschichholz dann als beste Gesellin, machte ihren Meister und hat nun selbst eine Auszubildende eingestellt: ihre Cousine, Sophie Sautter.

Die macht auf der Berufsschule dieselben Erfahrungen mit ihren männlichen Mitschülern. Anfangs seien die Jungs „etwas überrascht“ gewesen, erzählt Sautter. Sie hätten sich aber bald an sie gewöhnt: „Wir quatschen ganz normal miteinander und haben Spaß zusammen.“

Auch mit den Kunden mache sie positive Erfahrungen. „Als Frau im Bereich Heizung und Sanitär ist man noch etwas Besonderes“, sagt Sautter und ist sich sicher: „Die Quote der weiblichen Auszubildenden steigt langsam an.“