Erfurt. Das Servicebüro initiiert verschiedene Projekte, um Menschen nach Thüringen zu holen. Dazu zählen der Studentenaustausch oder Praktika in Thüringer Unternehmen. Auch Unterstützung für Unternehmen bei Integration von EU-Einwanderern gehört zum Angebot.

Rund 345.000 Thüringer werden sich in den nächsten Jahren in den Ruhestand verabschieden. Wie alle diese frei werdenden Arbeitsplätze wieder neu besetzt werden können, ist derzeit ein viel diskutiertes Thema in Politik und Wirtschaft.

Geburtenschwache Jahrgänge nach der Wende und die Abwanderung junger Menschen aus Thüringen verschärfen die Situation zusätzlich. Ohne gezielte Einwanderung werde der Freistaat sein wirtschaftliches Niveau und das erreichte Lebensniveau nicht halten können, zeigt sich etwa der Chef der Arbeitsagenturen in Thüringen, Kay Senius, überzeugt.

Ihren Teil beitragen zu dieser gezielten Einwanderung will das EU-Servicebüro in Erfurt. „Wir sind vor allem daran beteiligt, Fachkräfte aus anderen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union auf Thüringen aufmerksam zu machen und sie für unser Land zu begeistern“, berichtete Astrdi Friedrich vom Servicebüro in der Regierungsstraße der Thüringer Landeshauptstadt.

Servicebüro als Dienstleister für Unternehmen

Sie und ihre Mitstreiter initiieren dazu – unterstützt mit Mitteln aus dem Europäischen Sozialfonds – verschiedene Projekte, um Menschen nach Thüringen zu holen. Dazu zählen der Studentenaustausch oder Praktika in Thüringer Unternehmen.

„Dabei verstehen wir uns als ein Dienstleister für die hiesigen Firmen, nehmen ihnen bewusst Arbeit ab“, sagt Astrid Friedrich. Das reiche von der Vermittlung von Behördenkontakten bis zur Unterstützung bei der Wohnungssuche oder der Organisation des Familiennachzuges, wenn sich ein Einwanderer aus einen anderen EU-Land zum Bleiben entschlossen hat. Rund 50 bis 60 derartige Integrationsfälle betreue man pro Jahr, erklärt Friedrich. Das sei sicherlich auf den ersten Blick keine riesige Zahl, räumt sie ein. „aber es ist ein nachhaltig angelegtes Projekt“. Viele kämen, um zu bleiben, so Friedrich.

Ihre Kollegin Juliane Peter berichtet von einem Beispiel. So sie die 23-jährige Finnin Dilara Demir für ein Praktikum bei der Malerfirma Kern in Erfurt nach Thüringen gekommen. Für acht Wochen begleitete die Auszubildende den Firmenchef und sein Team bei der täglichen Arbeit zu Einsatzstellen in der Stadt.

Dilara machte zuvor in Finnland eine Ausbildung im Bereich Zimmerei und Hausbau. Da die Ausbildung in Finnland jedoch nicht dual, sondern größtenteils schulisch erfolgt, stehen Pflichtpraktika auf dem Programm.

So bewarb sie sich um ein Praktikum in Thüringen beim EU-geförderten Servicebüro Erfurt. Dessen Mitarbeiter organisierten daraufhin den Praktikumsplatz bei der Firma Kern. Diese besteht seit 2003, neben Roland Kern gibt es drei weitere Mitarbeiter, davon zwei Frauen. Er arbeite gern mit Frauen, sagt Kern, gerade bei filigraneren Arbeiten hätten sie viel Geschick. So stellte er einen Praktikumsplatz für Dilara bereit. Acht Wochen unterstützte sie ihn und sein Team beim Spachteln, Malern und Tapezieren.

Man traut der zierlichen Finnin die anstrengende körperliche Arbeit zunächst kaum zu, doch sie hat konnte den Firmenchef von sich überzeugen. Vor allem von ihrer Arbeitsmoral ist er angetan: „Dilara ist sehr engagiert und sieht vieles von selbst, ohne dass man es ihr extra erklären muss“, bemerkte er lobend.

Anfängliches Heimweh schnell überwunden

Trotz spärlicher Deutschkenntnis funktionierte die Kommunikation gut mit einem Mix aus Englisch, Deutsch und Zeichensprache. Am besten gefiel ihr das Tapezieren: „In Finnland gibt es nur wenig Tapete, dafür mehr Fliesen an den Wänden“, erklärte Dilara.

Das anfängliche Heimweh überwand die Finnin schnell. Dilara wurde fester Bestandteil des Teams und unternahm auch gerne privat etwas mit den Kollegen. Für die Zeit des Praktikums wohnte sie im Haus der Familie Kern mit Bauernhof. Auch hier sammelte sie neue Erfahrungen und unterstützt die Familie bei der Versorgung der Tiere. Erfurt mit seinen vielen Geschäften und dem mittelalterlichen Flair hatte es Dilara angetan: „Fachwerkhäuser kennen wir in Finnland gar nicht. Das war ganz neu für mich.“

Sie verließ Erfurt mit einem lachenden und einem weinenden Auge: Sie freue sich sehr auf ihre Familie, werde Herrn Kern, sein Team und die gemeinsame Arbeit aber sehr vermissen.

Zurück in Finnland will sie ihre Ausbildung beenden und danach ein Studium im Bauingenieurwesen anschließen. Da ihr Thüringen und besonders Erfurt so gut gefallen, überlegt sie bereits, nach dem Studium hier zu arbeiten und zu leben. Mit der Malerfirma Kern möchte Dilara auf jeden Fall in Kontakt bleiben. Sie hat vor, in den Ferien wiederzukommen, um im Unternehmen zu arbeiten.

Mehr zum Thema lesen:

Thüringer Handwerk setzt auf ausländische Fachkräfte

Bessere Bezahlung soll dringend gesuchte Pflegekräfte locken

Jena braucht 17.000 neue Beschäftigte bis 2030