Erfurt. Seit Beginn der Corona-Pandemie hat sich die Nachfrage nach Psychotherapien verstärkt. Praxen berichten von deutlich mehr Ängsten und Depressionen. Aus Sicht von Experten muss sich grundlegend etwas ändern.

Die Nachfrage nach Terminen in psychotherapeutischen Praxen ist in Thüringen im Sommer dieses Jahres weiter deutlich höher gewesen als vor dem Beginn der Corona-Pandemie. Die hohe Nachfrage aus dem vergangenen Jahr scheint sich den Ergebnissen einer Umfrage der Deutschen Psychotherapeuten Vereinigung (DPtV) zufolge somit zu stabilisieren. "Wir gehen sogar davon aus, dass das mit dem Abklingen der Krisen noch mehr wird", sagte die Landesvorsitzende der DPtV Thüringen, Dagmar Petereit, mit Blick auf Corona, Krieg und Klima. Die Anfrage bei den Terminservicestellen der Kassenärztlichen Vereinigung Thüringen nehme auch jetzt eher zu als ab.

Die Anzahl der Patientenanfragen bei Kassenpraxen war im Sommer 2022 der deutschlandweiten Umfrage der DPtV weiterhin um etwa 40 Prozent höher als vor Corona (Vergleich Januar 2020). Bei den Privatpraxen lagen die Anfragen demnach um rund 60 Prozent höher. Bei den Psychotherapiepraxen für Kinder- und Jugendliche war die Anfrage der Umfrage zufolge zwar leicht gesunken, aber mit einem Plus von fast 50 Prozent noch immer deutlich höher als vor der Pandemie.

Nachfrage besonders deutlich in größeren Städten gestiegen

Die deutschlandweiten Ergebnisse deckten sich mit den Erfahrungen der Thüringer Psychotherapeuten und -therapeutinnen, sagte Petereit. Auch hier sei die Nachfrage besonders deutlich in den größeren Städten – Erfurt, Jena und Weimar – gestiegen, weniger im ländlichen Raum.

"Die Menschen fühlten sich einfach deutlich mehr belastet" , so die Psychotherapeutin aus Erfurt. Insbesondere Ängste und Depressionen seien seit Beginn der Pandemie für viele zum Problem geworden. Corona habe auch Menschen in die Praxen geführt, die regulär gut mit ihren Problemen klargekommen waren, sagte Petereit. Wichtige Ausgleichsoptionen seien durch die Maßnahmen weggefallen. Das habe viele aus dem Gleichgewicht gebracht.

Ganz besonders sichtbar seien die Folgen bei den Kindern. "Die haben einfach enorm gelitten", sagte Petereit. Angststörungen hätten bei den jungen Leuten deutlich stärker zugenommen. Für einen Therapieplatz für ein Kind fielen in Thüringen aktuell allerdings bis zu anderthalb Jahre Wartezeit an.

Weitere Niederlassungsmöglichkeiten gefordert

Der DPtV wie auch die Ostdeutsche Psychotherapeutenkammer (OPK) fordern weitere Niederlassungsmöglichkeiten für Psychotherapeutinnen und -therapeuten, um der steigenden Nachfrage gerecht zu werden. Im ländlichen Raum in Thüringen gebe es etwa weitaus mehr ausgebildete Psychotherapeutinnen und -therapeuten als Kassensitze, sagte Petereit. Die Zahlen seien veraltet und würden dem Krankenstand nicht mehr gerecht.

Positiv falle laut Petereit auf, dass vor allem junge Leute bereit seien, zu sagen: "Mir geht es nicht gut, ich hole mir Hilfe". Und auch Erwachsene seien heute deutlich offener dafür, vor sich und anderen zuzugeben, dass sie psychische Probleme haben.

Vor Beginn der Pandemie ließ sich aus Sicht Petereits nicht klar sagen, ob die stete Zunahme der Nachfrage nicht auch mit der Entstigmatisierung von Psychotherapien und dem zunehmenden Wissen um die Leiden bei Patienten wie auch Ärzten zu tun haben könnte. Der enorme Nachfrageanstieg während Corona gehe aber "deutlich über die Entstigmatisierung hinaus".