Frankfurt/Main. Das Hessische Landesarbeitsgericht muss im Rechtsstreit zwischen der Steinmetzkasse und einem freiberuflichen Restaurator aus Weimar entscheiden. Ein Fall mit Präzedenzwirkung – und wohl für das Bundesarbeitsgericht in Erfurt.

Mitunter wirkt Michael Horcher etwas ratlos. „Ich bin künstlerisch ja eher nicht so bewandert“, sagt der Richter einmal. Aber auch auf seinem, dem juristischen Feld stellt er in diesem Fall „eine etwas unklare Gemengelage“ fest.

Horcher führt den Vorsitz dieser Verhandlung vor dem Hessischen Landesarbeitsgericht in Frankfurt/Main. Dort wurde der Weimarer Steinrestaurator Ilja Streit als Beklagter vorgeladen. Die Zusatzversorgungskasse des Steinmetz- und Steinbildhauerhandwerks (ZVK Steinmetz) will, dass er meldet, welche Mitarbeiter er wofür beschäftigt. Für sie soll er gegebenenfalls Beiträge zur betrieblichen Altersversorgung abführen. Es geht aktuell um die Zeit von Januar 2012 bis Februar 2016 sowie um insgesamt knapp 4000 Euro.

Doch im Hintergrund geht es um mehr. Man wirft Ilja Streit gleichsam stellvertretend für alle Steinrestauratoren vor, Steinmetzbetrieben Konkurrenz zu machen, indem er Aufträge annehme, die auch sie ausführen. Streit und auch der Verband der Restauratoren wiederum sehen hier einen Versuch, sowohl ihr Selbstverständnis als auch ihre Existenzberechtigung infrage zu stellen.

Mit ihrem Anliegen war die ZVK in erster Instanz jedenfalls gescheitert. Das Arbeitsgericht in Wiesbaden, wo die Kasse sitzt, wies die Klage 2017 ab. Streit, hieß es unter anderem, „unterhält keinen Handwerksbetrieb.“ Werkzeuge, die er verwendet, Mikroskop, Schwamm oder Pinsel, „stellen keine Arbeitsmittel des Handwerks dar.“

Ilja Streit ist freier Restaurator. Seine Mitarbeiter sind es ebenfalls – oder sie sind Praktikanten: Ein einjähriges Praktikum ist Pflicht, will man Restaurierung studieren.

Die Zusatzversorgungskasse ging gleichwohl in Berufung. Streit habe im fraglichen Zeitraum ganz überwiegend Tätigkeiten abgerechnet, die dem Tarifvertrag für Steinmetze unterliegen. Also soll er zahlen.

Nach dem ersten Verhandlungstag in Frankfurt/Main schien es so, als folge dem zumindest der Vorsitzende. Michael Horcher sah im September 2018 „nur sehr schwer die Möglichkeit, aus dem Wortlaut des fachlichen Geltungsbereichs herauszukommen“ und fand „zunächst einmal schlüssig, was der Kläger behauptet“.

Zwei Gutachter, zwei sich widersprechende Wertungen

Gleichwohl bleibe „ein fader Beigeschmack“. Die Frage war und ist zu klären, ob ein akademisch ausgebildeter Steinrestaurator eine überwiegend künstlerisch-wissenschaftliche Tätigkeit ausübt und damit aus dem Gewerbe herausfällt, auch wenn sich einige seiner Arbeiten mit denen des Steinmetzes überschneiden mögen.

Deshalb deutete Richter Horcher damals an, was er nach einem zweiten Verhandlungstag jetzt untermauerte: „Ich halte das für so interessant, dass man auf jeden Fall die Revision zulassen müsste.“ Selbst höchstrichterlich gab es bislang „keine eindeutige Klärung“. Der Bundesfinanzhof hatte steuerrechtlich, das Bundessozialgericht in Sachen der Künstlersozialkasse gegen die Restauratoren entschieden, das Bundesverwaltungsgericht aber für sie, als es um die Abgrenzung innerhalb der Handwerksordnung gegangen war. Richter Horcher hält nun „ein Machtwort“ des Bundesarbeitsgerichts in Erfurt für wünschenswert.

Zuvor aber holte sich das Landesarbeitsgericht erst einmal externen Sachverstand ins Haus. Man bestellte zwei Gutachter: Professor Steffen Laue, Studiengangleiter für Konservierung und Restaurierung an der Fachhochschule Potsdam, sowie den Steinmetz und Bauingenieur Benjamin Raatz aus Wiesbaden, ein vereidigter und öffentlich bestellter Sachverständiger für Naturstein.

Richter Horcher schickte beiden ein Dutzend Rechnungen Ilja Streits zu, die er wahllos herausgriff. Vor Gericht ging er sie nun zweimal nacheinander durch, erst mit dem einen, dann dem anderen Gutachter. „Mir ist bewusst dass das eine Zumutung ist“, schickte Horcher zur Aussagekraft der Beweisstücke voraus.

Das Ergebnis fand nach drei Stunden auch deshalb niemand sonderlich überraschend. Der Professor aus Potsdam sah hier alles in allem „eindeutig Arbeiten eines akademischen Restaurators“ abgerechnet und befand unterm Strich, „dass Herr Streit über hoch spezialisiertes Wissen verfügt.“ Der Ingenieur hingegen erkannte „weitestgehend Handwerkstätigkeiten und nur im untergeordneten Bereich Arbeiten mit vertiefter wissenschaftlicher Tätigkeit.“

Die Palette der Objekte reichte von historischen Goethe-Büsten aus Kalkstein vom Ilmtal und aus Gips sowie Marmorbüsten Schillers und der Großherzogin Sophie bei der Klassik-Stiftung über die zementgegossene Plastik „Ruhende“ Richard Engelmanns (Kunstsammlung der Bauhaus-Universität) bis hin zu Walter Gropius’ Märzgefallenen-Denkmal auf Weimars Hauptfriedhof und Graffiti an der Erfurter Peterskirche.

Professor Steffen Laue wurde grundsätzlich. So eine Graffitientfernung könne, das reine Abstrahlen betreffend, auch ein anderer hinkriegen. Es gehe aber um die Herangehensweise zuvor. Dafür eigne man sich an der Hochschule theoretisches Wissen und viele praktische Fähigkeiten an, um später „nach ethischen, ästhetischen und materialkundlichen Gesichtspunkten“ zu entscheiden. So sei die Peterskirche ja „anders als irgendein Gebäude.“

Laue beschreibt den Restaurator gleichsam als Arzt für Kunst- und Kulturgüter: Anamnese durchführen, Diagnose stellen, Therapie empfehlen. „Wenn wir unsere Objekte erhalten wollen, auch für die nächsten 500 Jahre, braucht es Spezialwissen.“

„Auch wir wissen um den Wert solcher Objekte und möchten sie erhalten“, erklärt Benjamin Raatz. Er räumt ein, dass Steinmetze keine wissenschaftlichen Recherchetechniken anwenden (weder in Bibliotheken noch unterm Mikroskop). Und von farbgefassten Skulpturen lässt man demnach auch die Finger.

Bereits Lehrlinge lernen laut Raatz aber handwerkliche Verfahren der Restaurierung. Einen Fachbereich dafür gebe es später auch in der Meisterausbildung. Bei der Weiterbildung zum „Restaurator im Handwerk“ würden spezifische Techniken vermittelt, zudem „ein bisschen Farbkunde, ein bisschen Baugeschichte“.

„Wer hat’s denn geschaffen“, fragt einmal Gerd Merke. Der Jura-Professor ist Vorstand der Zusatzkasse und vertritt insofern die Klägerin. Von Steinmetzen, argumentiert er, stammen die historischen Denkmäler, Fassaden, Skulpturen, Brunnen. Also kennt sich die Zunft damit aus. Restauratoren verweisen unterdessen auf Künstler: Bildhauer etwa.

„Natürlich haben Sie eine ganz starke Lobby“, hält Merke dem Professor vor. Die habe schon „zwei Bundesländer gekippt.“ Er spielt auf Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt an. Beide regelten den freien Beruf „Restaurator“ per Gesetz. Dort steht die materielle Bewahrung von Kultur- und Kunstgütern als Aufgabe: kein Gewerbe, heißt es.

Fall hat Präzedenzwirkung

Das Landesarbeitsgericht will sein Urteil am Freitag, 10. Mai, verkünden. Der Gang nach Erfurt gilt als wahrscheinlich, insbesondere, falls die ZVK erneut verlieren sollte. „Das ist für uns elementar“, so Vorstand Merke vor Gericht. Der Fall sei klein, habe aber Präzedenzwirkung. „Es warten im Hintergrund viele andere Fälle.“

Unserer Zeitung hatte Merke im vergangenen Jahr noch erklärt, es gebe nur „eine Hand voll Fälle“ wie diesen. Ein Grundsatzstreit sei das daher nicht. „Das ist gar nicht der Fall.“

Verlöre Streit, müssten Restauratoren ihren „Betrieb“ wohl demnächst existenzgefährdend aufspalten: in Kunst und Handwerk. Was für eine Aussicht, im Bauhausjahr!

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