Berlin. Die Heizungsreform und das Verbrenner-Aus spalten die Ampel-Parteien. Was jetzt passieren muss, sagt Umweltbundesamt-Chef Dirk Messner.

Extreme Wetterereignisse führen als eine Folge des Klimawandels weltweit zu immer größeren Schäden. Durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine drohen die Lösungen für einen aktiven Klimaschutz in den Hintergrund zu rücken. Zugleich herrscht in der Ampel-Koalition Streit um das geplante Verbot neuer Öl- und Gasheizungen und um den Verbrenner-Motor.

Was jetzt geschehen muss und welche Prioritäten die Politik setzen sollte, sagt der Präsident des Umweltbundesamtes, Dirk Messner, im Gespräch mit unserer Redaktion.

Herr Messner, durch den Krieg in der Ukraine wird mehr Kohle verfeuert, auch das klimaschädliche Flüssiggas muss genutzt werden. Was heißt das für die Klimaziele?

Dirk Messner: Insgesamt wird der Krieg im Energiesektor – ohne dass dies zynisch klingen soll – den Übergang zu den Erneuerbaren Energien beschleunigen, weil Energiesouveränität, die Unabhängigkeit von Russland und der beschleunigte Ausbau der Erneuerbaren in die gleiche Richtung gehen. Gleichzeitig bringt der Krieg aber Sand ins Getriebe. Jetzt fließt viel Geld aus guten Gründen in die Sicherheitspolitik. Geld, das wir aber auch für den Ausbau des öffentlichen Verkehrs oder die Gebäudesanierung bräuchten. Oder: bei den G 7 und G 20 – Meetings in 2022 sollte es primär um Klimaneutralität gehen, stattdessen lag nun der Schwerpunkt auf der russischen Aggression.

Nach einer Schätzung könnten die Folgen des Klimawandels Deutschland bis zu 900 Milliarden Euro bis zum Jahr 2050 kosten. Können wir uns die aktuelle Blockade der Ampel-Koalition bei Klimafragen leisten?

Messner: Wir sind mitten in der Transformation von Energie, Industrie, Verkehr, Landwirtschaft und Bauen. Es wird jetzt ernst, für die Wirtschaft, aber vieles betrifft zunehmend auch die Bevölkerung direkt. Manche fragen sich, darf ich noch Urlaub machen, was darf ich noch essen, wie saniere ich Haus oder Wohnung? Die Bundesregierung hat bei der Klausur in Meseberg besprochen, sich erstens auf die großen Linien, Ziele, Chancen zu konzentrieren und hier eine klare, gemeinsame Sprache zu sprechen. Wann man einig ist, wo man hin will, kann man zweitens konstruktiv über konkrete Lösungen streiten. Denn es gibt nicht immer nur eine Lösung, sondern meistens ein Spektrum.

Vor allem beim Verkehr liegt zwischen den Koalitionspartnern FDP und Grünen viel im Argen. Die FDP will den Bau neuer Autobahnen priorisieren und den Verbrennungsmotor mit synthetischen Kraftstoffen retten. Lassen sich so die Klimaziele erreichen?

Messner:Deutschland hängt im Verkehrssektor weit zurück. Man könnte zuweilen den Eindruck haben, im Verkehrsministerium wird das Verkehrsmodell der vergangenen 130 Jahre verteidigt. Wir brauchen synthetische Kraftstoffe, für Luft- und Schiffverkehr. Auch die Automobilunternehmen sind sich weitgehend einig: für PKWs ist E-Mobilität die günstige Alternative. Zur Wahrheit gehört aber auch: die jetzige Bundesregierung muss die Versäumnisse der Vergangenheit aufräumen: bei der Bahninfrastruktur zum Beispiel.

Dirk Messner war von 2004 bis 2019 Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU), im etwa gleichen Zeitraum auch Direktor des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik in Bonn. Präsident des Umweltbundesamtes ist der heute 60-jährige promovierte und habilitierte Politikwissenschaftler seit Januar 2020.
Dirk Messner war von 2004 bis 2019 Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU), im etwa gleichen Zeitraum auch Direktor des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik in Bonn. Präsident des Umweltbundesamtes ist der heute 60-jährige promovierte und habilitierte Politikwissenschaftler seit Januar 2020. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Braucht es ein Tempolimit?

Messner: Nach unseren Untersuchungen könnte ein Tempolimit von 120 km/h auf den Autobahnen und 80 km/h auf Außerortsstraßen bis 2030 aufsummiert die Treibhausgasemissionen um knapp 50 Millionen Tonnen reduzieren. Und selbst dieses Tempolimit bringt nur ein Sechstel der Reduzierung, die wir bis 2030 zum Erreichen des Ziels im Verkehrssektor brauchen.

Was müsste zudem passieren?

Messner: Wir brauchen die Elektrifizierung des Verkehrs – also 15 Millionen Elektro-Fahrzeuge bis 2030, die Verbrenner ersetzen müssen. Es braucht eine Verkehrswende. Der öffentliche Verkehr muss so ausgebaut werden, dass mehr Menschen den ÖPNV statt den privaten Pkw nutzen können. Das ist ein Gesamtpaket. Das Verkehrsministerium hat bisher keinen Plan vorgelegt, wie es das Land auf den Pfad bringen möchte, wie er im Klimaschutzgesetz festgelegt ist.

Die Autoindustrie argumentiert: Durch Autobahnneubau gibt es weniger Staus und dadurch weniger CO2-Emissionen…

Messner: Verkehrsstudien zeigen, dass mit wachsendem Angebot der Infrastruktur auch der Verkehr wächst. Wir haben in Deutschland eines der dichtesten Straßennetze der Welt. Die Qualität nimmt zwar ab, weil wir nicht für die Modernisierung gesorgt haben. Diese steht jetzt an. Aber das Straßennetz ist im Großen und Ganzen ausreichend.

Welche Rolle spielen die Bahn und das 49-Euro-Ticket für den Verkehrssektor?

Messner: Die Bahn spielt eine große Rolle bei mittleren und langen Distanzen. Allerdings geht es um milliardenschwere hohe Investitionen für das Schienennetz. Geld, das trotz Krieges, fließen muss. Das 49-Euro-Ticket halten wir für richtig. Es wird jedoch nur dauerhaft funktionieren, wenn das Angebot ausgebaut wird. Wenn wir uns wie Heringe in den öffentlichen Verkehrsmitteln fühlen, dann ist das unattraktiv. So lässt niemand seinen privaten Pkw stehen.

Die hohen Wohnungsmarktpreise in den Großstädten führen dazu, dass immer mehr Menschen ins Umland ziehen und pendeln. Sie bezeichnen die Pendlerpauschale als klimafeindliche Subvention. Aber sorgt sie nicht auch dafür, dass sich Menschen bezahlbare Wohnungen leisten können?

Messner: Die Pendlerpauschale ist ein Anreiz zur Zersiedlung. Menschen ziehen weit raus und fahren dann gefördert wieder in die Stadt rein. Das produziert zusätzlichen Verkehr und Flächenversiegelungen – und damit zusätzliche Umwelt- und Klimaprobleme. Von der Pendlerpauschale profitieren vor allem Menschen mit hohen Einkommen. Wir müssen aber diejenigen gezielt unterstützen, die lange Wege zur Arbeit haben, aber zugleich über wenig Einkommen verfügen.

Wie soll das funktionieren?

Messner: Wir haben bei den Hilfszahlungen in der Energiekrise gesehen, dass wir noch nicht die Daten und Auszahlungsmechanismen haben, um sozial fokussiert zu fördern. Diese Strukturen müssen wir dringend anpassen. In Zeiten knapper Kassen sollten wir nicht mit der Gießkanne fördern. Eine an die Einkommenssteuer und -situation gebundene Förderung könnte funktionieren. Wir können Teile der Mittel, die sich aus der CO2-Bepreisung, als Klimageld and die BürgerInnen zurückgeben.

Apropos Wohnen: Der Gebäudesektor ist das zweite große Sorgenkind bei den Klimazielen. Jetzt soll ab 2024 der Einbau neuer Öl- und Gasheizungen de facto untersagt werden. Ist das der richtige Weg?

Messner: Viele denken bei der Klimaproblematik an Raffinerien und weniger an Gebäude. Aber: Rund ein Drittel aller Emissionen ist mit Gebäuden verbunden. Die Hälfte unserer Ressourcen- und Materialverbräuche entfällt auf Gebäude. Und Bauprodukte sind nach Verpackungen der zweitgrößte Anwendungsbereich für Kunststoff. Deshalb brauchen wir in diesem Bereich dringend den Schwenk in Richtung Treibhausgasneutralität. Das kann zum einen über klimaverträglichere Baustoffe und umfassendes Recycling im Gebäudebereich gelingen. Zum anderen muss der Energieverbrauch reduziert werden. Dafür ist die Wärmepumpe ein wichtiges Instrument. Insofern ist es richtig, dass ab 2024 neu installierte Heizungen zu 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden müssen.

Wärmepumpen arbeiten in ungedämmten Gebäuden oft ineffizient.

Messner: Wärmepumpen sind kein Allheilmittel. Die Forschung zeigt aber: Wenn wir die Wärmepumpen weiterentwickeln und verbinden mit einer Isolierung von Häusern, der entsprechenden Dämmung und dem Austausch von Fenstern, dann können wir viel erreichen. Zudem sind viele Gebäude schon teilweise saniert, so dass es in der Regel möglich ist, eine Wärmepumpe effizient zu betreiben. Deutschland hinkt beim Hochlauf der Wärmepumpen im europäischen Vergleich hinterher.

Bis 2030 sollen in Deutschland sechs Millionen Wärmepumpen installiert sein.
Bis 2030 sollen in Deutschland sechs Millionen Wärmepumpen installiert sein. © dpa | Silas Stein

Die Förderung für Sanierungen wurde im vergangenen Jahr gekürzt.

Messner: Wir müssen die Förderung sozial fokussieren und brauchen eine große Infokampagne zur Zukunft unserer Gebäude. Viele Gebäude sind alt und bewohnt von Menschen mit geringen Einkommen. Diese Gebäude sind besonders klimaschädlich, aber die Menschen haben keine Möglichkeit, gegenzusteuern. Werden die prekärsten Gebäude fit gemacht, dann hat das einen klimapolitischen Effekt, es würde den Bestand zukunftsfähig machen und es wäre sozialverträglich. Insofern müssen diejenigen unterstützt werden, die aus eigener Kraft die Investition nicht stemmen können.

Gerade ältere Menschen mit niedrigen Renten werden Sie wohl trotzdem nur schwer von der Sanierung des eigenen Hauses überzeugen können…

Messner: Auch in solchen Häusern kann man optimieren und Energie und somit Kosten sparen. Wer in einem Haus mit einer intakten Öl- oder Gasheizung wohnt, sollte schauen, dass diese effizient eingestellt wird. Meist ergeben sich so Effizienzspielräume von 10 bis 20 Prozent. Aber Neuinvestitionen müssen in Richtung Treibhausgasneutralität gehen. Im Bestand stecken große Chancen, weil so Neubauten vermieden werden können.

Also lieber den Bestand in den Blick nehmen als den Neubau?

Messner: Bei Neubauten hat man zu Beginn höhere Kosten. Aber dafür sind die Kosten über die Jahre günstiger, wenn Häuser etwa ausreichend gedämmt sind, um wenig Energie zu verbrauchen. Auf der anderen Seite müssen wir den Bestand weiterentwickeln. Allein durch die Aufstockung bestehender Wohngebäude könnten 1,1 bis 1,5 Millionen neue Wohnungen entstehen, durch Umnutzung oder Aufstockung von Nicht-Wohngebäuden könnten weitere 2,3 bis 2,7 Millionen Wohnungen hinzukommen.

Wärmepumpen werden vor allem in Neubauten verbaut. Doch der Neubau bricht ein. Ist das Ziel von 6 Millionen Wärmepumpen bis zum Jahr 2030 überhaupt zu erreichen?

Messner: Wir halten es weiterhin für machbar und orientieren uns dabei an den anderen europäischen Ländern, in denen wir eine hohe Dynamik haben. Die Absatzzahlen zeigen, dass 2021 fast zwei Drittel der Wärmepumpen in Bestandsgebäuden installiert wurden.

Sind die verschärften Vorgaben bei der Neubauförderung zu strikt?

Dirk Messner: Wir brauchen einen hohen Standard, um unsere Klimaziele zu erreichen. Wenn man über Klimaschutzkosten im Gebäude spricht, muss man die Schäden des Klimawandels dagegenstellen. Von den 900 Mrd. Euro Klimaschäden in Deutschland bis 2050 gehen ein Drittel auf die Art und Weise zurück, wie wir bisher Gebäude bauen und nutzen. Wir dürfen diese unsichtbaren Kosten nicht länger ignorieren.