Eisenach. Unsere Zeitung stellt in loser Folge Geschichten aus dem Buch „Eisenacher Geheimnisse“ vor.

Sanft schweben Schneeflocken vom Himmel und sinken auf die Engelsfigur auf dem Alten Eisenacher Friedhof herab. Frau Holle schafft die passende Kulisse für diese Geschichte. „Denn“, sagt Gästeführerin Helga Stange, „Frau Holle hat ihre Prominenz auch der Frau zu verdanken, der dieser Engel gewidmet ist.“

Auf die Spur der erwähnten Frau kommt man, wenn man das Leben der Brüder Grimm betrachtet: Bevor Jacob Grimm (1785-1862) und Wilhelm Grimm (1786-1859) ihre Kinder- und Hausmärchen im Jahr 1812 veröffentlichten, mussten sie sich auf die Suche nach den mündlich überlieferten Geschichten begeben. Als eine Quelle dienten dem Brüderpaar ihre Jugendfreundinnen, die Töchter der Familien Wild und Hassenpflug aus Kassel, die dem gehobenen Bürgertum angehörten. Eine dieser jungen Damen, Henriette Dorothea Wild (1793-1867), Dortchen genannt, lieferte die Grundlagen für 17 Märchen der Brüder Grimm, darunter die Geschichte von Frau Holle. Wilhelm Grimm gefielen nicht nur die Geschichten, sondern auch das Mädchen selbst: Er heiratete Dorothea und bekam mit ihr drei Kinder.

Frau Holle ist mitnichten nur für den Schnee verantwortlich. Einer Sage zufolge bat sie in den Raunächten zwischen Weihnachten und dem 6. Januar als alte und hilflose Frau um Nahrung und Obdach. „Diejenigen, die ihr halfen, wurden reich belohnt“, erzählt die Eisenacherin, „doch wer aus Geiz die Hilfe verwehrte, wurde bestraft.“ So erging es Goldmarie und Pechmarie im Märchen von Frau Holle ja auch.

Dass Dorothea in Eisenach bestattet ist, hängt mit einem tragischen Unglück zusammen: 1867 verstarb sie bei einem Besuch beim Burghauptmann der Wartburg, Bernhard von Arnswald (1807-1877), überraschend an einer Lungenentzündung. „Damals war es noch nicht üblich, Tote über eine längere Wegstrecke an ihren Heimatort zu überführen, sie wurde auf dem Alten Friedhof bestattet“, erklärt die Gästeführerin.

Dem Eisenacher Geschichtsverein ist zu verdanken, dass heute wieder ein großer Teil der ursprünglichen Grabstätte zu sehen ist. Der Engel ist eine Replik des deckungsgleichen Engels in Kassel auf dem Grab der Charlotte Amalia Grimm, einer Schwester der beiden Märchensammler. „Er befindet sich auf fast allen Grabsteinen der Familie Grimm“, sagt Helga Stange.

Melanie Kunze und Mike Durlacher sind Autoren des Buches. Das Buch „Eisenacher Geheimnisse“ gibt es in der Geschäftsstelle unserer Zeitung in der Sophienstraße 40a; 16,90 Euro, für Abonnenten 14,90 Euro.