Susanne Krauss über Widersprüche unserer Zeit - gerade jetzt zu Weihnachten.
Der morgendliche Blick in den Spiegel präsentiert mir in diesem Jahr den beredten Eindruck einer so gar nicht zauberhaften Gemütslage vor Weihnachten. Während der letzten Monate überschlugen sich die Nachrichten zu Energiefragen, Krieg, Menschenrechten, Inflation und Teuerung.
Seither gruben sich tiefe Sorgenfalten in meine Stirn, und als ob das nicht schon schlimm genug wäre, werden diese noch durch hübsche Zornesfalten umrahmt, wenn ich die tollen Ideen aus Politik und Wirtschaft zu gesamtgesellschaftlichen und globalen Krisen höre. Die stinkend schlechte Laune würde etwa rund um die Mundwinkel noch schneller sichtbar, wenn ich tatsächlich nur den Waschlappen benutzen würde, statt der Dusche an diesem Morgen.
Stromrechnung statt Weihnachtsgeschenken
Sie behauptet sich dennoch, weil ich dieses Jahr auf Weihnachtsgeschenke weitgehend verzichte, „den Gürtel enger schnalle“, um die teure Stromrechnung im nächsten Jahr begleichen zu können. Beim nachfolgenden Bummel über den Eisenacher Weihnachtsmarkt tanzen plötzlich Fragezeichen vor meinen Augen, als ich überschlage, wie viele Haushalte wie lange Strom beziehen könnten, hätte man sich zugunsten des allerorts gepredigten Sparens das mehrwöchig drehende Riesenrad auch dieses Jahr verkneifen können.
Sicher wäre die riesige Stromschleuder ein wenig auszugleichen, würde man – wie vorgeschlagen – die Beleuchtung der Wartburg, der verbliebenen Läden in der Karlstraße und der Georgenkirche in der Dämmerung ausschalten.
Bedenkenswert dann natürlich: Vom Riesenrad am Abend blickte man damit ins nächtlich schwarze Nichts, und der Reiz wäre dahin… Und die Besucher des Weihnachtstrubels auf dem Burggelände müssten sich den Weg nach oben ertasten und erschnuppern.
Aber hierbei handelt es sich eher um Luxus-Probleme, Verzicht aufs Licht könnte also durchaus hingenommen werden, Brot und Spiele in der Adventszeit sollten also auch in diesem Krisenjahr ausfallen. Ich beschließe deswegen nach Hause zu fahren, um ins Homeoffice abzutauchen und ungestört meine Texte zu schreiben.
Dank vorbildlich abgedrehter Heizung brauche ich dann spätestens nach einer Woche einen Arzt aus der Umgebung. Nach der vierten telefonischen Absage, dass zur Zeit keine Patienten aufgenommen und auch kein Arzt mit Kapazitäten empfohlen werden kann, schwillt mir der ohnehin dicke Hals noch deutlicher an, und ich sehe: Die mir ins Gesicht steigende Zornesröte steht mir überhaupt nicht.
Mit Sorgen eingekleidet, faltenverziert, einer unfreiwillig eng geschnürten Wespentaille, sackig schlechter Laune und frostgeschädigt suche ich Ablenkung vor dem Fernseher, übe mich gleich in Ambiguitätstoleranz, als ich zufällig auf ein Fußballspiel in Katar schalte. Man könnte jetzt aufgeben, doch zum Glück gibt unser Bundeskanzler Scholz Entwarnung. „You’ll never walk alone“.
Stefanie und Susanne Krauß, Birk Töpfer und Sindy Herrmann sowie Carolinde Müller Wolf schreiben eine wöchentliche Zeitungskolumne, angelehnt an ihren Blog „Die Zauberer von Ost“.