Am 12. November 1989 öffnete sich bei Katharinenberg der Grenzübergang. Wir wollten wissen, wie Menschen aus Eschwege den Mauerfall erlebten.

Lothar Quanz (70)
Lothar Quanz (70) © Alexander Volkmann

Lothar Quanz (70), Rentner aus Eschwege: Als die Grenzen offen waren, war ich viel unterwegs in Thüringen, in Großburschla, Niederdorla, Mühlhausen. Ich erinnere mich an Blasmusik, die überall bei den Feierlichkeiten gespielt wurde. Es war eine ausgelassene Zeit mit Aufbruchstimmung. Später gab es auch viele Enttäuschungen bei Menschen im Osten. Aber es ist wirklich ein Wunder, dass die Revolution ohne Blutvergießen stattfand. Die Macht der Herzen und der Kerzen ließ die Macht der Waffen schweigen. Ich bin stolz darauf, dass ich beim Aufbau der SPD in Mühlhausen helfen konnte. Das war politische Aufbauarbeit.

Angelika Knapp-Lohkemper (72), Seniorin aus

Angelika Knapp-Lohkemper (72)
Angelika Knapp-Lohkemper (72) © Alexander Volkmann

Eschwege: Wir lebten Mitten in der Stadt. Am Morgen nach der Grenzöffnung, um halb acht, standen bereits hunderte Menschen vor dem Eschweger Rathaus, um ihr Begrüßungsgeld abzuholen. Wir waren eine verschlafene Kleinstadt, deren Geschäfte samstags um 13 Uhr schlossen. Das hat sich in den ersten Jahren geändert, viele Menschen aus dem Osten kamen. Die Grenzöffnung war auch Wirtschaftsförderung. Eine Woche nach dem Mauerfall waren wir zu Fuß von Wanfried nach Treffurt unterwegs. Richtung Osten ging es nicht mit dem Auto, alles war voller Fahrzeuge aus der Gegenrichtung.

Ralf Germerodt
Ralf Germerodt © Alexander Volkmann

Ralf Germerodt (56), Polizeihauptkommissar bei der Bundespolizei aus Eschwege: Ich war damals beim Bundesgrenzschutz. Kurz nach dem Mauerfall war ich auf Grenzstreife bei Lindewerra. Als wird die vielen Menschen am Metallgitterzaun sahen, haben wir die Streife abgebrochen und sind dorthin. Außer dass man sich gegenseitig fotografierte, hatten wir nie Kontakt zu DDR-Grenzern. Das änderte sich schlagartig. Niemand ahnte, dass es so schnell gehen würde, und dass man sich auf beiden Seiten fragen würde, was wir da überhaupt noch machen. Es war für mich eine sehr emotionale Zeit, da meine Eltern 1952 aus der DDR flüchteten.

Jochen Grüning
Jochen Grüning © Alexander Volkmann

Jochen Grüning (56), Lichtplaner, Eschwege: Vor 30 Jahren wurden wir am Übergang Katharinenberg täglich von DDR-Grenzern gefilzt. Meine Firma hatte eine der ersten Handelsgenehmigungen vom Rat der Stadt Mühlhausen zum Verkauf von Elektrogeräten bekommen. Ölradiatoren, Fernseher, Kühlschränke, Hifi-Anlagen waren begehrt, das wussten wir von Kunden aus unserem Eschweger Geschäft. Wir sollten nach Mühlhausen kommen. Verkauft wurde für DDR-Mark, die ich auf einem Konto der DDR-Staatsbank am Untermarkt einzahlen musste. Bargeld durfte nicht ausgeführt werden. Es war ein Risiko, ob ich das Geld jemals bekommen würde.

Joachim Fehr
Joachim Fehr © Alexander Volkmann

Joachim Fehr (77), Rentner: Noch am 9. November habe ich in Eschwege elf Menschen aus dem Osten, die in zwei Autos unterwegs waren, angeboten bei uns zu übernachten. Einer war der damalige SED-Vorsitzende von Waltershausen. Meine Frau tafelte auf, was im Kühlschrank zu finden war. Auch die Freundschaft zwischen Mühlhäusern und Eschwegern hat sich von Anfang an gut entwickelt, weil die Menschen sich verstanden. Schief gelaufen ist aus meiner Sicht, dass nicht auch versucht wurde, in die DDR-Betriebe einen “Westler” dazu zugeben und die ehemaligen Betriebsleiter zu unterstützen, die Marktwirtschaft zu planen.