München/Mainz. Nichts schauen die deutschen Fernseh-Zuschauer so gerne wie Fußball. Doch die Einschaltquoten sind bei der EM längst nicht mehr so hoch wie bei den zurückliegenden Turnieren. Woran liegt das?

Das mühevolle Remis der deutschen Fußball-Nationalmannschaft gegen Ungarn bei der EM hat erstmals bei der TV-Quote die 25-Millionen-Grenze geknackt - und zugleich den Trend der Vorrunde bestätigt.

Die Einschaltquoten sind deutlich niedriger als vor fünf Jahren bei der EM in Frankreich. "Insgesamt schauen die Menschen weniger Fußball", fasste ARD-Sportkoordinator Axel Balkausky die am Mittwochabend beendete Vorrunde zusammen.

In Zahlen heißt das: Durchschnittlich 8,805 Millionen schauten beim laufenden Turnier die Gruppenspiele bei ARD und ZDF nach 10,797 Millionen 2016. Das ist ein beachtliches Minus von 18,5 Prozent. Fußball-Euphorie sieht anders aus.

Die Bilanz nach den 26 Live-Spielen in den öffentlich-rechtlichen Programmen ist zwiespältig. Einerseits lockt die EM Abend für Abend mehr Zuschauer vor die Fernsehgeräte als jedes andere Programm. So sahen im Schnitt 25,74 Millionen am Mittwoch die Übertragung des ZDF vom 2:2 des DFB-Teams in München und den damit verbundenen Einzug ins Achtelfinale. Und die Livespiele sorgen fast immer für Marktanteile, die auch kein "Tatort" erreicht - am Mittwoch waren es 71,4 Prozent. Mehr als zwei Drittel der TV-Zuschauer schauten also Fußball.

Andererseits sinken die Zahlen im Vergleich zur EM 2016 und auch zur WM 2018. Und jene, die schauen, "sind noch mehr fokussiert auf deutsche Spiele als auf die anderen", sagte Balkausky. Kein einziges der 23 Spiele ohne DFB-Elf knackte die Zehn-Millionen-Grenze. Eine weitere Feststellung der Vorrunde: "Der Marktanteil bei jungen Zuschauern ist stabil, bei den über 50-Jährigen schauen hingegen deutlich weniger als sonst zu."

Von den Verlusten im klassischen Fernsehen müsse man den Zuwachs bei der Nutzung von Mediatheken oder den Stream wie auf "sportschau.de" abziehen, sagte Balkausky. ARD-Teamchef Steffen Simon erklärte: "Gerade bei den Abrufen der Livestreams konnten wir im Vergleich zu früheren Turnieren stark zulegen." Genaue Zahlen dazu gibt es erst nach der EM. Zu berücksichtigen ist außerdem: Auch beim kostenpflichtigen Internetangebot MagentaTV, das zehn Spiele exklusiv zeigte, gibt es eine - von der Telekom nicht veröffentlichte - Anzahl von TV-Zuschauern.

Was sind die Ursachen für die sinkenden Einschaltquoten? Die Medienwissenschaftlerin Jana Wiske sagte dazu: "Der Fußball hat an Relevanz und Nähe verloren. So dominieren derzeit wichtigere, existenziellere Themen den Alltag vieler Menschen. Und wir leben seit vielen Monaten auf Distanz - auch zum Fußball."

Die Professorin an der Hochschule Ansbach kritisierte, dass "der Profifußball seine Sonderrolle in der Pandemie nicht immer mit der nötigen Demut angenommen und Werte ignoriert" habe. "All das zeichnet ein entrücktes Bild. Die Bedeutung in der Gesellschaft sinkt und führt auch zu einem geringeren Medienkonsum."

Zudem verhindern schwache Spiele der DFB-Auswahl wie gegen Ungarn Euphoriestimmung. "In der zweiten Turnierhälfte wird das Zuschauerinteresse natürlich auch davon abhängen, wie die deutsche Nationalmannschaft abschneidet", sagte ARD-Teamchef Simon.

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