Erfurt. Wie Geher-Olympiasieger Hartwig Gauder vor 32 Jahren der Hitze trotzte und WM-Gold holte.

Vor 32 Jahren krönte sich der Erfurter Geher Hartwig Gauder (64) in Rom zum 50-km-Weltmeister, nachdem er zuvor 1980 in Moskau schon den olympischen Thron erklommen hatte. Wie nun bei der WM in Doha war für ihn einst eine akribische Vorbereitung die Grundlage, um die Goldmedaille zu erobern. Wir sprachen mit dem Olympiasieger über einstige Erfolge, die Zukunft des Gehens und Thüringer WM-Chancen.

Sind Sie froh, dass Sie nicht im heißen Doha an den Start gehen müssen?

Damit hätte ich überhaupt keine Probleme. Ich mag solch eine Hitze. Und die Bedingungen sind ja für alle gleich.

War es damals, zur WM 1987 in Rom, auch so heiß?

Das Thermometer zeigte 30 Grad, an der Strecke gab es kaum einen Fleck, an dem wir Schatten hatten.

Wie haben Sie den Wettkampf so gut gemeistert?

Ich habe bestimmt fünf, sechs Liter getrunken. Das war zum Beispiel ein Heidelbeer-Extrakt, verdünnt mit Wasser. Und kalten Pfefferminztee mit einer Prise Salz.

Bleibt in der Hitze überhaupt noch Zeit zum Taktieren?

Natürlich. Genau das hatte ich im Training wochenlang geübt. Nach 43 Kilometern habe ich so getan, als sei ich völlig fertig. Ich habe schwer geatmet und die Arme hochgenommen. Dabei war ich noch richtig fit. So habe ich meinen Nationalmannschaftskollegen Ronald Weigel und Wjatscheslaw Iwanenko aus der Sowjetunion abgeschüttelt und gewonnen.

Wie haben Sie sich generell auf Rom eingestimmt?

Wichtig ist es, dass man sich langfristig auf solch einen Wettbewerb vorbereitet. Wir waren in Trainingslagern in Mexiko, Äthiopien oder Bulgarien. Dort war es auch jedes Mal heiß.

Das hat gereicht?

Nein. Ich habe auch im Training in Oberhof oder in Kienbaum alles dafür getan, damit ich meinen Körper auf die Wärme vorbereite. Wenn sommerliche 24 Grad herrschten, bin ich jeden Tag in die Sauna gegangen oder ich habe im Training zwei Jacken übereinander angezogen und eine lange Hose.

Die anderen Leichtathleten haben das auch gemacht?

Nein, die haben mich ausgelacht. Aber das hat mich nicht gestört. Ich bin immer meinen Weg gegangen.

Wie haben Sie in Rom versucht, der Hitze zu entfliehen?

Die Hitze war nicht das Problem, sondern eher die schlechte Luft in der Großstadt und der Trubel. Deshalb haben wir vor der WM in einer Pension in Castel Gandolfo gewohnt, wo auch der Papst seine Sommerresidenz hat. Hier hatten wir am Albaner See mit den olympischen Ruderstrecken von 1960 ein hervorragendes Mikroklima und perfekte Bedingungen zum Training.

Sind Sie dem Papst begegnet?

Ich hatte tatsächlich eine persönliche Einladung. Woher die kam, weiß ich nicht mehr. Mir sagte aber jemand, dass man drei, vier Stunden warten könne. Das wollte ich aber vor dem Wettkampf nicht. Ich habe alles dem Erfolg dieser WM untergeordnet und bin erst am Abend vor dem Wettkampf mit einem Fiat nach Rom gefahren.

Sie hatten gar keine Zeit, sich die Stadt anzuschauen?

Doch, am Tag nach dem Wettkampf. Wir hatten aber als DDR-Sportler kein Geld fürs Taxi. So bin ich trotz schmerzender Beine noch einmal zu Fuß quer durch die Stadt.

Von Erfurt nach Jena sind es etwa 50 Kilometer. Was ist für Sie das Faszinierende daran, solch eine Strecke am Stück zu gehen?

Die Länge der Strecke ist ein Alleinstellungsmerkmal in der Leichtathletik. Es ist die härteste Disziplin, weil sich durch die geforderte Technik die Muskulatur nie ausruhen kann. Und man muss auch geistig hart arbeiten.

Nach 2022 wird es nach dem Willen des Leichtathletik-Weltverbandes keine 50-km-Wettbewerbe der Geher mehr geben. Wie finden Sie das?

Es ist eine Katastrophe, dass solch eine alte Tradition einfach über Bord geworfen wird. Dass es nicht interessant sein soll, kann ich nicht gelten lassen. Oft wird ein 50-km-Wettbewerb ja erst nach 35 Kilometer richtig spannend, wenn vielleicht ein Geher sich die Kräfte perfekt eingeteilt hat und vorne plötzlich alle überholt.

Welche Chance räumen Sie dem jungen Thüringer Geher Jonathan Hilbert bei seiner WM-Premiere ein?

Er darf seine Ziele nicht zu hoch stecken und muss ganz ruhig bleiben. Ich habe ihn einmal im Erfurter Stadion getroffen und ihm kleine Tipps gegeben.

Was haben Sie ihm geraten?

Ich habe ihm gesagt, dass alle anderen an der Startlinie genauso nervös sind. Ich hatte den Eindruck, dass er ein sehr intelligenter Athlet ist. Wenn er sich auf die Hitze einstellen kann, schafft er vielleicht sogar einen Platz unter den besten 15. Eine Platzierung in den Top Ten wäre ein sensationelles Ergebnis.

Wer gewinnt das 50-km-Rennen der Geher?

Mein Geheimfavorit ist der Spanier Jesus Angel Garcia. Der war schon 1993 bei der WM in Stuttgart dabei, als er Gold holte und ich meine letzte WM bestritten habe. Im Oktober wird er 50. Er ist ein harter Knochen, der sicher mit der Hitze gut zurechtkommen wird.

Was trauen Sie den anderen Thüringer WM-Startern zu?

Ich wünsche mir, dass Speerwerfer Thomas Röhler mit seiner Leistung explodiert und eine Medaille holt. Mit Martin Grau ist ja ein Hindernisläufer dabei, dem ich genauso die Finalteilnahme wünsche wie Sprinter Julian Reus mit der Staffel.

Qualifikationen und Vorläufe (live in der ARD ab 16.10 Uhr)

Marathon der Frauen