Weimar. Ein Besuch am Weimarer Geburtsort der TLZ – Das Museum Pavillon-Presse.

„Das haben wir damals partout nicht weggekriegt“, sagt Herbert Schachtschabel zur Begrüßung, als habe er die Frage bereits geahnt. Er sitzt, recht bequem, auf einem mannshohen und gusseisernen, also tonnenschweren Schwungrad, das dereinst zum Antrieb von Druckmaschinen per Dieselgenerator gebraucht wurde. Inzwischen hat es ein wenig Rost angesetzt, indessen Meister Schachtschabel vor Energie geradewegs sprüht. Ortstermin in Weimar, Scherfgasse 5: Hier wurde vor 75 Jahren die allererste Ausgabe der TLZ gedruckt.

Heute erinnert daran und an die ruhmreiche Geschichte der Druckerei- und Verlegerstadt Weimar die Pavillon-Presse, ein Druckgrafisches Museum, das von einer Handvoll Enthusiasten betreut wird. Der Maschinenschlosser Schachtschabel ist einer von ihnen, seine glutvolle Liebe zum Metier rührt daher, dass sein Betrieb sich auf Druckmaschinen spezialisiert hat. Sofort sprüht er vor Zahlen und Fakten: Ab 1853 siedelte am Standort die Hofbuchdruckerei. Später habe sich daraus der renommierte Hermann Böhlau Verlag entwickelt, während die erste Zeitung, die „Revolution“, hier ab 1851 gedruckt worden sei.

Doch ohne die Aktivisten der Pavillon-Presse wäre hier heute vermutlich Tabula rasa. 1990, gleich nach der Wende, retteten der spätere Vereinsvorsitzende Matthias Merker und ein paar Freunde das abrissreife Gebäude vor dem Verfall und gründeten zwei Jahre später das Museum. Heute hat dessen Trägerverein als offizielle Existenzgrundlage einen Erbpachtvertrag mit der Stadt. Wir treten ein in eines der ältesten Häuser in Weimar, anno 1470 erbaut.

Wie viel Mühe und Schweiß hier in den letzten 30 Jahren investiert wurden, sagt niemand. Das Erdgeschoss mutet an wie ein Maschinensaal. Es riecht nach Öl und nach Druckerschwärze, und vorm inneren Ohr meint man geradezu, das rhythmische Stampfen der Pressen zu hören. Wie Dinosaurier in einem Reservat steht hier ein Arsenal an alten Druckmaschinen. Liebevoll hergerichtet, schlummern sie nur. Wenn es darauf ankäme, wären sie prompt einsatzbereit.

Jetzt ist Herbert Schachtschabel nicht mehr zu bremsen. Die beiden VOMAGs, Baujahr 1924 und 28, haben sein Vater und er anno 76 abgebaut. VOMAG? Steht für Vogtländische Maschinenfabrik AG, Plauen, die nicht nur für ihre Lastkraftwagen bekannt war. Und hier eine Sigl-Schnellpresse aus Berlin, die ab 1847 den Buchdruck in Fahrt gebracht hat. Sie haben Schachtschabel & Co. in Lobenstein buchstäblich aus dem Schutt gezogen und ihr in jahrelanger, mühevoller Arbeit wieder Leben eingehaucht.

Tonnengewichte haben sie damals gestemmt. „Wir hätten uns auch Kraftsportgruppe Pavillon-Presse nennen können“, flachst der Schlosser heute darüber. Sogar die Bänderführung für den Bogentransport haben sie rekonstruiert – denn die macht den maßgeblichen Unterschied zur Kniehebelpresse anno 1840 ein paar Meter weiter. Da musste nämlich für jeden neuen Papierbogen der Druckvorgang unterbrochen werden – „ein unwahrscheinlicher Aufwand“, sagt Schachtschabel. Während bei der Schnellpresse dies nicht mehr nötig war und ein rotierender Zylinder das Papier auf das bewegliche Fundament mit der Druckvorlage presste.

Akkuratesse war auch dafür vonnöten. Die Schrifthöhe der Vorlage hatte im Hochdruckverfahren exakt 23,57 Millimeter zu betragen – egal, ob es sich um Lettern im Schließrahmen oder um ein gegossenes Klischee handelte. Etwas einfacher handhabbar mag da die Offset-Maschine, Baujahr 1985, aus Gotha gewesen sein, auf der zu DDR-Zeiten sämtliche Schallplattenhüllen gedruckt wurden. Aus welcher Maschine die TLZ seinerzeit lief, weiß man heute nicht mehr.

Heinz­Uwe Scmidt sortiert Regletten, die im Handsatz als Blindmaterial dienen, um den Zeilendurchschuss anzupassen.
Heinz­Uwe Scmidt sortiert Regletten, die im Handsatz als Blindmaterial dienen, um den Zeilendurchschuss anzupassen. © Peter Michaelis

Dann noch ein Albert-Automat aus Ruhla, eines der Arbeitstiere der Zunft. „An so einer Maschine hab ich selbst noch gearbeitet“, sagt da Heinz-Uwe Schmidt, seines Zeichens Buchdruckermeister. „Die brauchte morgens ein bisschen Öl und lief dann den ganzen Tag.“ Vor ein paar Jahren hat Schmidt sie noch einmal angeworfen: für einen Liebhaberdruck der Klassik-Stiftung in Original-Bleisatz.

Apropos Bleisatz. Wir wandern nach nebenan, in die Setzerei der Pavillon-Presse. Flugs hat er einen Winkelhaken zur Hand und nimmt Letter für Letter aus dem wohlsortierten Setzkasten, als wäre es das Einfachste von der Welt, spiegelverkehrt zu schreiben. „Hoppla, das ist ja ein Zwiebelfisch“, sagt er. So nennen Kenner einen ins falsche Fach sortierten Druckbuchstaben. Sichtlich stolz ist das Team der Pavillon-Presse auf die typografische Vielfalt von gut 250 Schriften im Haus.

Nach altem Brauch veranstaltet man zum Johannisfest im Juni mitunter einen Handsatz-Wettbewerb „Aber nur für Teilnehmer, die früher im Gewerbe gearbeitet haben.“ Für Laien wäre das allzu frustran. Johannisfest? Während wir die Treppe hinauf stapfen und die Bibliothek und Baldwin Zettls druckgrafische „Faust“-Illustrationen bewundern, ist zu erfahren, dass inzwischen nicht mehr gegautscht wird. So nannte man die Taufe der Lehrlinge im alten Drucker-Handwerk.

Heute wird zwar der Lehrberuf Medientechnologe/-technologin genannt, aber gedruckt wird nach wie vor – auch wenn es schneller und leichter geht als je zuvor.