Weimar. 25. November 1991: Die Geburtsstunde der neuen Landeszeitung - Engagierte Macher aus Ost und West stemmen den Neubeginn

Es war ein Montag. Es sollte ein denkwürdiger Tag werden in der Geschichte der Thüringischen Landeszeitung, des ältesten Tageszeitungstitels, der Thüringen im Namen führt. An diesem 25. November 1991 trafen in Weimar 100 »Neuankömmlinge«, wie diese sich ein bisschen gedankenlos und vermeintlich anzüglich nennen lassen mussten, auf 100 »Ureinwohner«, wie diese wiederum von jenen ein wenig hilflos betitelt wurden. Tatsächlich waren die 100 »Neuen« von Geburt an Thüringer oder längst Thüringer geworden... Die somit jedenfalls personell gesehen größte Zeitungsfusion im Lande war geschehen.

Der neue TLZ-Chefredakteur Hans Hoffmeister, soeben noch Chef der im Januar 1990 neugegründeten Thüringer Tagespost, wagte den Sprung in die Goethe-Stadt. Seine Neugründung hatte ihre »verlagswirtschaftlichen Aktivitäten eingestellt«, wie man etwas umständlich sagte. Und Hoffmeister wollte um keinen Preis zurück nach Bielefeld, wo er zwar noch immer einen Vertrag als Vorgesetzter von 35 Lokalausgaben mit 200 Redakteuren hatte, wo er aber »nicht wieder über Parfüm und Tennis berichten« wollte. Seit 1970 war er in Ostwestfalen Journalist, sehr bald als leitender Redakteur. Und jetzt ließ er alles hinter sich.

Der »Zugereiste« hatte von Eisenach ausgehend »im Stechschritt« 19 Tagespost-Lokalausgaben ins Leben gerufen, vorzugsweise mit jungen, frisch und vor allem gut ausgebildeten Frauen und Männern: darunter die heute leitenden Redakteure Gerlinde Sommer, Lioba Knipping, Dieter Lücke, Frank Karmeyer und etwas später Thorsten Büker. Die Nachwende-Neugründung kam nicht anders als alle anderen im Gefolge der Treuhand-Politik nicht durchs Ziel. Die Auflage in Eisenach, Gotha, Erfurt, Weimar, Suhl, Meiningen, Schmalkalden, Bad Salzungen, Bad Langensalza, Mühlhausen und Heiligenstadt wurde von der TLZ übernommen. Die Tagespost-Abos in Sondershausen, Ilmenau, Arnstadt und Sömmerda gingen an die TA. So galt es nun, die TLZ als Wettbewerbszeitung der beiden Großen, TA und OTZ, zu profilieren und durchs Ziel zu bringen. Dies sollte ihr als einziger der 35 ehemaligen sogenannten »Blockzeitungen« gelingen.

Dabei war die TLZ schon lange vor der DDR, gleich nach dem Krieg, von liberalen Kaufleuten gegründet worden, die eine Zeitung für ihre Liberal-Demokratische Partei brauchten, für das »Korrektiv«, wie sowohl die Partei als auch die Zeitung bald genannt werden sollten. Die Liberalen, nicht die CDU, waren stärkste Opposition im frei gewählten Thüringer Landtag von Weimar.

Die ersten Schlagzeilen dieser Gründer von 1945, auf deren Schultern ihre Nachfahren 1990/91 dann standen, waren so ähnlich gewesen wie nun wieder: Die Rede war in großen Lettern von Freiheit, und die Zeitung stand »gegen Pessimismus«, so auch ihr Redaktionsprogramm. Und die Zeitung hatte einst wie jetzt, so viele Jahre später, eine nach wie vor im Kern bürgerlich-liberalkonservative Leserschaft. Dabei wollte sie »entschieden sozial« sein, wie es in der Grundhaltung der TLZ schon gleich nach der Wende pointiert hieß.

Unabhängigkeit kommt jetzt in den Titelkopf

Doch noch gab es beispielsweise in Weimar und Gotha fünf (!) lokale Tageszeitungen, in Eisenach gar sieben. 1990 waren die Thüringer Neuesten Nachrichten zur TLZ gestoßen, nachdem die NDPD und die mit der FDP fusionierte LDPD zusammengegangen waren. Die TLZ-Mannschaft hatte sich über ihre alte Eignerin, die LDPD des kurzzeitigen Staatsratsvorsitzenden Manfred Gerlach, einfach hinweggesetzt und die Worte »weltoffen und heimatverbunden« in den Titelkopf geschrieben. Jedoch das Wörtchen »unabhängig« traute man sich noch nicht: Man hatte Angst vor Ansprüchen der Alteigner und war sich der Sache nicht so sicher. So kam es erst nach der Tagespost-Übernahme zu diesem entscheidenden Schritt der nunmehr geradezu demonstrierten Unabhängigkeit im Titelkopf.

Braunes Gedankengut gehört auf den Müllhaufen der Geschichte: Die TLZ bezieht hier seit mehr als zwei Jahrzehnten ganz klar Stellung.
Braunes Gedankengut gehört auf den Müllhaufen der Geschichte: Die TLZ bezieht hier seit mehr als zwei Jahrzehnten ganz klar Stellung. © Peter Michaelis

Einen ganz anderen, nicht minder entscheidenden Schritt hatte indes ein Nachrichten-Redakteur aus Hagen in Westfalen unternommen. Sein Name: Hartmut Kaczmarek. Auf Verwandtenbesuch in Apolda trieb ihn seine journalistische Neugier kurz nach dem Mauerfall nach Weimar in die Marienstraße in die Chefredaktion der TLZ. Dort lauschte er den hochspannenden Vorwende- sowie den Nachwendegeschichten dieser interessanten Zeitung und berichtete tags darauf zu Hause darüber. Beinahe in Stundenfrist stand eine Partnerschaft zwischen der TLZ und Kaczmareks Heimatzeitung, der zur WAZ-Mediengruppe gehörenden Westfalenpost. Gastgeschenk der Thüringer in Hagen war eine alte Schreibmaschine, die dort einen Ehrenplatz erhielt.

Die TLZ war so die erste Zeitung in Deutschland, die mit einer Westzeitung eine freundschaftliche Verbindung einging. Folglich gehörte sie auch allen voran zu den Gründern der Zeitungsgruppe Thüringen (ZGT), deren Vertriebs- und Anzeigengeschäft erst ein wirtschaftliches Überleben ermöglichte.

Die ewige Sorge, wie es denn nun weitergehen solle mit dem alten liberalen Blatt, das einst als erste DDR-Zeitung auf den Index kam und dessen Auflage von der SED stets per Papierkontingentierung auf 40 000, zeitweise gar 35 000 Exemplare gedeckelt blieb (ein Neuabonnent kriegte die TLZ erst, wenn ein anderer zuvor gestorben war) diese Sorge war man nun mit starken WAZ-Partnern im Hintergrund los. Es waren wie sich schnell zeigen sollte Typen, die von Pressefreiheit wussten und diese auch zuließen. Niemals durfte ein Chefredakteur wegen etwaig erwünschter Inhalte vom Verlagsgeschäftsführer auch nur angesprochen werden. Nach Jahrzehnten politischer Bevormundung war dies eine zwingende Voraussetzung für freies journalistisches Arbeiten. Und es ist und bleibt eine zwingende Voraussetzung.

Hoffmeister und seine Mannschaft kamen mit neuen Ideen, vor allem mit Entschiedenheit und Durchsetzungskraft. Visionen und Grundhaltungen verschmolzen bald mit den Talenten und den Sehnsüchten der Ur-Mannschaft. Die »Neuankömmlinge«, die in Wahrheit natürlich vielfach selber jüngst erst frisch herangebildetes Thüringer Urgestein waren, »ossimilierten«, wie es der Chefredakteur nannte. Das Wort, das bald zum »Running Gag« werden sollte, stammte von Kulturredakteur Frank Quilitzsch, natürlich typisch TLZ augenzwinkernd formuliert.

Der »Treffpunkt« war immer schon besonders begehrt

Überhaupt die Kultur: Sie blieb unter den Ressortleitern Bodo Baake und Peter-Alexander Fiedler sowie Albrecht Brömel von durchgreifenden Neuerungen ebenso verschont wie ihre Wochenendbeilage »Treffpunkt«, was sich als glücklich erweisen sollte. Denn die Urleserschaft der TLZ war und ist bis heute im Wesentlichen eine kulturaffine bildungsbürgerliche Klientel. Mit Nachdruck verteidigte die Redaktion den Standort Weimar als Sitz von Verlag und Zentralredaktion. Hier ist man mitten in der Stadt, wahrt die Identität und ist nah am Leser. »Die TLZ ist die Hauspostille der Weimarer Klassik«, sinnierte der große WAZ-Gruppengeschäftsführer Günter Grotkamp, bis heute der »Hüter« seiner blauen Lieblingszeitung.

Spannungen begleiteten trotz aller »Ossimilierungs«-Tendenzen die Anfänge. »Fenster auf! Wissen wollen, was jetzt hier ist!«, predigte Hoffmeister beim Ringen um Aktualität, kulturelle wie politische Identität und natürlich auch Rationalität. Dabei hatte er immer das Ziel einer ganz normalen regionalen Familienzeitung vor Augen. Und Wirtschaftlichkeit! »Sehen Sie zu, dass wir in Weimar nicht pleitegehen«, hatte ihm die Gruppengeschäftsführung der WAZ auf den Weg mitgegeben.

Unterschiedliche Ansatzpunkte sorgten anfangs in der Redaktion für eine große Streitkultur. Die Ur-Mannschaft wollte mit großem Sendungsbewusstsein eine überregionale, eine Art Süddeutsche Zeitung machen. Auf der anderen Seite stand das Konzept einer stark ausgeprägten regionalen Zeitung, die lokale und regionale Themen engagiert und pointiert aufgreifen sollte. Der interne Meinungskampf um Aktualität und Regionalität wie auch bald um ein äußerst aktionsbegleitendes Redaktionsprogramm, dabei gern meinungsstark und betont kritisch, war schnell entschieden. Und alle, insbesondere auch die Leser, zogen mit.

Und Weltoffenheit beweist die TLZ. Besonders in Richtung Polen. Als Motor sorgte sie etwa mit Blick auf die Partnerschaft zwischen dem Land Thüringen und der Wojewodschaft Malopolska immer wieder für Schwung. Entschieden sozial engagiert sich die TLZ in der von ihr mitinitiierten Aktion »Thüringen sagt Ja zu Kindern«, die längst zur erfolgreichsten vorweihnachtlichen Spendenkampagne im Freistaat wurde. Und sie brachte um nur zwei Beispiele zu nennen als erste Thüringer Zeitung ein Lehrstellenbörse und ein großes Börsentableau ins Blatt.

Eine zutiefst demokratische Grundhaltung mit deutlicher Ab- und Ausgrenzung jeglicher radikaler Tendenzen sollte bald prägend wirken. Aktionen gegen Rechts, für Toleranz, gegen Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus machten Furore in breiten Leserkreisen. 300 000 »Thüringen tolerant«-Aufkleber wurden zwischen 2001 und 2003 in Windeseile durch das ganze Land getragen noch heute sieht man sie etwa im Erfurter Straßenbild. Und entsprechende Unterschriftenlisten verkörperten einen Lakmustest in die Zivilgesellschaft. Sämtliche Ministerpräsidenten Bernhard Vogel, Dieter Althaus und Christine Lieberknecht nicht eben selten im Blatt für Mittelmaß oder Versagen gescholten, suchten die TLZ als Partner. Wobei immer galt: Bitte keine Übernähe! Die Opposition verkörperte die TLZ ohnehin nicht selten selbst...

Ein modernes Gesicht erhielt die blaue Zeitung im Jahr 1994. Designer Norbert Küpper gab ihr unter maßgeblicher Mitwirkung der Redaktion eine Optik, die dem Redaktionsmotto »Wir schreiben Klartext« folgte. Innovativ blieb die TLZ auch in den Folgejahren. Als erste Regionalzeitung in Deutschland führte sie 2005 das Zahlenrätsel Sudoku ein. Ebenfalls als Vorreiter in der deutschen Medienlandschaft bewies sich die TLZ 2006.

Kindernachrichten haben mit »Klar!« ihren eigenen Platz

Als erste Tageszeitung in den neuen Bundesländern und als drittes Blatt in ganz Deutschland wurde die Kindernachrichten-Seite »Klar!« zum täglichen Angebot gemacht. Sie gehört auch bei den Erwachsenen zur liebgewordenen Pflichtlektüre. Die neue Seitenstruktur der TLZ, die seit Mitte 2011 noch mehr Platz für Berichte aus Thüringen geschaffen hat, sorgte dafür, dass die Klar!-Seite stets auf Seite 6 oder 7 auch für Kinder schnell zu finden ist.

1996 stieß die Mannschaft der Mitteldeutschen Allgemeine mitsamt der Eisenacher Presse um Peter Rossbach und der alteingesessenen CDU-Zeitung, des wiedergegründeten Eichsfelder Tageblatt mit dem leider zu früh verstorbenen Ernst Beck hinzu: Die TLZ wurde zum Schmelztiegel und so ein einzigartiger Markenartikel von Vereinigung.

Heute ist die TLZ die einzige durchs Ziel gekommene einstige Nicht-SED-Zeitung mit Vollredaktion im ganzen Osten. Sie hat seit vielen Jahren stets die vergleichsweise bessere Reichweiten- und Auflagenentwicklung im Lande und die besten Vergleichswerte (Benchmarking) im Konzern mit einem Wort: »Sie ist Vorbild«, wie WAZ-Gruppengeschäftsführer Christian Nienhaus gerne sagt.

Heute nun feiert die vor 20 Jahren vereinigte Mannschaft in aller Bescheidenheit und blickt unter dem Motto »Ad multos annos!« auf 20 stürmische Jahr zurück. Und die Leser sind gewiss in Gedanken dabei. Es heißt, der Chefredakteur will ein paar »ossimilierte« Spezialitäten ausgeben. »Es werden keine Reden gehalten«, hat er als Parole verkündet. Es ist eh kaum Zeit, die Sonnabend-Ausgabe muss fertig werden.