Elmar Otto über Menschen, die ihre Meinung sagen.

Es ist ein Musterbeispiel in Sachen gelebter Meinungsfreiheit, das sich am Mittwoch im Kongresszentrum der Erfurter Messe abspielt. Die versammelten 300 Bürgermeister dürfen den Regierenden so richtig den Marsch blasen und machen das auch. Sie beklagen seit Jahren zu geringe Zuweisungen des Landes, so dass manche Kommunen finanziell am Stock gehen. Sie beschweren sich über Unsicherheiten durch die jüngst beschlossene Abschaffung der Straßenausbaubeiträge. Auch das überarbeitete Konzept der Kontaktbereichsbeamten brennt manch kommunalem Mandatsträger auf den Nägeln.

Es ist eine muntere, kontroverse, aber dieses Mal sachliche Diskussion, die sich bei der Mitgliederversammlung des Gemeinde- und Städtebundes abspielt. Die Mandatsträger kritisieren und ­Innenminister Georg Maier (SPD) versucht so gut es geht, zu parieren, Sorgen zu nehmen und aufzuklären.

Der gemeinsame Nenner wird an diesem Tag nicht gefunden. Aber das hat auch niemand erwartet. Wichtig ist, dass jeder sagen darf, was er will.

Das betont ziemlich zum Schluss der Veranstaltung auch der Bürgermeister von Gößnitz. Noch nie sei die Meinungsfreiheit so groß gewesen wie heute, sagt Wolfgang Scholz und erntet krachenden Applaus.

Weil die AfD diese Freiheit immer wieder in Frage gestellt sieht, wendet er sich an deren Spitzenkandidaten Björn Höcke und fragt: „Was ist Meinungsfreiheit? Darauf hätte ich gerne von ihnen ganz konkret eine Antwort.“

Höcke erwidert: Im Grundgesetz und in der Thüringer Verfassung sei das Recht auf Meinungsfreiheit verankert. Aber immer mehr Menschen in Deutschland und Thüringen hätten das Gefühl, dass sie diese Meinungsfreiheit nicht leben könnten, weil in diesem Lande die Herrschaft der politischen Korrektheit diese Meinungsfreiheit immer mehr aushöhle.

Das indes möchte Michael Brychcy so nicht stehen lassen. „Meine Meinung darf ich schon offen sagen“, betont der Präsident des Gemeinde- und Städtebundes. „Aber ich muss mir natürlich gefallen lassen, dass dieser und jener sagt: ‚Na ja, da liegst Du ein bisschen falsch, oder was denkst Du denn?‘“

Dann schlägt der Christdemokrat einen Bogen in die DDR-Vergangenheit: „Ich muss das jetzt mal deutlich: Wir hatten vor 30 Jahren keine Meinungsfreiheit!“ Erneut brandet Beifall auf.

Höcke hingegen (in Rheinland-Pfalz aufgewachsen) komme aus einem Bundesland, in dem es Meinungsfreiheit schon immer gab, so der Bürgermeister von Waltershausen und empfiehlt ihm: „Fragen Sie mal Kollegen oder fragen sie mich, wie hier Meinungsfreiheit vor 1989 ausgesehen hat. Das war keine Meinungsfreiheit. Was ich als Katholik 1985/86 und so weiter erleben durfte“, erinnert er sich. Und meinte wohl eher „erleben musste“.

Der gesamte Schlagabtausch beweist, bei aller Emotionalität, die Brychcy anzumerken ist, wie gut Meinungsfreiheit in Thüringen funktioniert.

Landeskorrespondent Elmar Otto ­erreichen Sie unter e.otto@tlz.de