Elmar Otto über die Ministerpräsidentenwahl – ein Thüringer Tornado.

Selten haben wir so ungern Recht behalten wie dieses Mal. Vor genau einer Woche schrieben wir an dieser Stelle zur zu diesem Zeitpunkt noch bevorstehenden Ministerpräsidentenwahl:

„Die FDP sollte sich trauen, einen Ministerpräsidentenkandidaten aufzustellen. In einer geheimen Wahl ist alles möglich, und CDU und AfD könnten ihm zur Mehrheit verhelfen. Eine Fünf-Prozent-Partei, die gerade so ins Parlament gerutscht ist, stünde an der Regierungsspitze.

Der nächste Eintrag in den Geschichtsbüchern wäre Thüringen sicher.“

Bedauerlicherweise ist es genauso gekommen. Das freistaatliche Wahlergebnis wird für Historiker ein wahrer Jungbrunnen sein und der Name Thomas Kemmerich immer damit verbunden bleiben. Auch weil sich der Ministerpräsident nur einen Tag halten konnte, bevor er seinen Rückzug bekannt gab.

Selten wurde in 24 Stunden so viel politisches Porzellan zerschlagen. Oder exakter: ein derartiges Chaos angerichtet. Kemmerich hat durch seine Wahl mit den Stimmen der AfD beinahe die eigene Partei geschreddert und zwar bundesweit. Liberalen-Chef Christian Lindner sah sich genötigt, am Donnerstag aus der Bundeshauptstadt in die Provinz zu eilen, um dort seinem Freund Thomas freundlich aber bestimmt (Du oder ich? Und falls ich, dann auch Du ...) zu sagen, dass er zurücktreten muss.

Weil Lindner zuvor leidlich rumgeeiert war, wenn er auf Kemmerichs Wahl angesprochen wurde, was alles andere als souverän wirkte, stellte er im Bundesvorstand vorsichtshalber noch die Vertrauensfrage.

Auch die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer wurde vom Thüringer Wahltornado erfasst und ebenfalls am Donnerstag nach Erfurt geweht. Dort durfte sie sich nicht nur stundenlang anhören, dass die Union den Osten immer noch nicht verstanden hat, sondern musste auch Fraktions- und Landeschef Mike Mohring gehörig einnorden.

Immerhin war es die CDU, die sehenden Auges das Debakel im Landtag federführend mit angerichtet hatte.

Die Bilanz von Kemmerichs Kurzaufenthalt in der Staatskanzlei: maximaler Schaden.

Die Bundespolitik in Aufruhr, ein Bundesland ohne wirklichen Regierungschef, drohende Neuwahlen sowie der unrühmliche Abgang Mohrings, der von den eigenen Leuten gehörig Maß genommen wurde. Nicht zu vergessen: eine sich für ihren Coup feiernde AfD, die die Wahl eines Ministerpräsidenten auf Pferdewettenniveau gedrückt hat.

Übrigens, um eines nicht unerwähnt zu lassen: Auch der größte politische Fehler rechtfertigt keine Bedrohungen, unter denen jetzt Kemmerich und seine Familie zu leiden haben.

Da fällt uns ein: Die nicht zustande gekommene rot-rot-grüne Koalition hatte auf ihrem Ressortverteilungsplan auch ein Thüringer Ministerium für Gleichstellung, Zuwanderung und sozialen Zusammenhalt ausgewiesen. Wegen seiner Kurzform „TMGZSZ“ firmierte es schon als Ministerium für Gute Zeiten – Schlechte Zeiten.

Zurzeit könnten wir es besser brauchen denn je.

Landeskorrespondent Elmar Otto erreichen Sie unter e.otto@tlz.de