Elmar Otto über Homeschooling

Am Freitag gab es Zeugnisse. Früher waren das für manche Schüler Giftzettel. Die Noten legten an der einen oder anderen Stelle schonungslos offen, dass jemand den Stoff nicht ganz durchdrungen hatte. Wenn ich an die eigene Schulzeit zurückdenke, waren aus meiner Sicht immer die Lehrer schuld. Immer! Weil ich stets besonders fleißig war, konnte es gar keinen anderen Grund geben.

Leider sahen das nicht nur die Lehrer, sondern auch meine Eltern anders. Im Nachhinein weiß ich, dass sie recht hatten. Meine Erinnerungen daran sind immer noch präsent, aber waren nie schmerzhaft. Das ist Jahrzehnte her.

Damals ging man in die Schule. Inzwischen gibt es Erstklässler, die kennen diese Form des Unterrichts nur noch aus Erzählungen. Und vielleicht werden nachfolgende Generationen darüber sogar etwas in den Geschichtsbüchern lesen: Beschrieben wird dort, wie sich pubertierende Teenager aus dem Bett und sogleich auf den Schreibtischstuhl hievten, das T-Shirt glatt zogen und leicht verschlafen und schwer strubbelig in die Kamera blinzelten. Untenherum reichten Schlafanzughose und Puschen. Besonders Ausgeschlafene täuschten technische Probleme vor, um erst gar nicht im Bild zu sein.

Und das mit den Noten?

Na ja, schwierig. Und manchmal durchaus überraschend. Zumindest dann, wenn der Viererkandidat zum Klassenprimus avancierte, weil seine Eltern im Homeoffice noch Zeit fanden, ihrem Mathe-, Deutsch- oder Lateinfaible zu frönen.

Doch ab Montag soll das teilweise zumindest der Vergangenheit angehören. Ein Bildungsminister wie der Linke Helmut Holter lässt sich nicht von einem Virus vorschreiben, wann die Schulen wieder öffnen dürfen. Zunächst zwar nur die Grundschulen und lediglich im eingeschränkten Regelbetrieb. Aber immerhin. Corona-Partys, damit die Jüngsten ohne Maske mal wieder was zu lachen und zu niesen haben.

Die FDP-Fraktion findet, dass nicht nur Schüler, sondern auch die das Land so souverän durch die Pandemie manövrierenden rot-rot-grünen Koalitionäre Zensuren verdient haben. Glücklicherweise nur das Halbjahreszeugnis, sonst wäre die Versetzung arg gefährdet. Notendurchschnitt: 4,7.

Dass sich ausgerechnet der Oberliberale Thomas Kemmerich dabei zum Oberlehrer aufschwingt, hat für manche etwas Tragikomisches – wohl wegen seiner Kurzzeitregentschaft mit freundlicher Mithilfe der Deutschalternativen. Manchmal wird eben der Bock zum Gärtner gemacht oder der Friseur zum Pädagogen. Da sind die Übergänge fließend.

Während sich die Schüler perspektivisch also wieder ordentlich kleiden müssen, kann ein Teil der arbeitenden Bevölkerung weiter mit leichter Lässigkeit und weichgezeichnetem Hintergrund videokonferieren. Ein Kollege hat übrigens, während wir diese Zeilen in die Tasten tippen, auf seinem Kalender folgende Sätze stehen: „Da ruft man im Büro den Casual Friday aus, und jetzt starren alle auf meinen Tigerenten-Jumpsuit. Neid hat so viele Facetten.“

Ein bisschen neidisch sind wir auch, aber vor allem haben wir jetzt Bilder im Kopf.