Gerlinde Sommer über Vertreibung, Migration und Chancengleichheit.

Liebe Leserinnen, liebe Leser!

Als vor 75 Jahren viele Frauen mit kleinen Kindern westwärts flüchteten, waren sie auf sich gestellt. Haus und Hof verloren. Oft zwangsweise alleinerziehend, weil Kriegerwitwe. Da blieb nur, den Kindern Bildungschancen aufzuzeigen. Und das ist oft gut gelungen. Hierzulande und auch in der alten Bundesrepublik.

Einige dieser Bildungsaufsteiger sorgten 1989/90 hier für Veränderung; manche bauten das neue Thüringen auf. Das lässt sich an Namen ablesen. Josef Duchac beispielsweise: geboren 1938 in Bad Schlag (Jablonecké Paseky); Sohn deutschböhmischer Eltern. Die Familie wurde vertrieben und fand in Gotha eine neue Heimat. Ist Duchac ein Nichtthüringer, weil in seinem Pass ein außerthüringischer Geburtsort steht? Oder zugespitzter formuliert: Sind die prägenden Kindheitsjahre entscheidend, wenn es darum geht, ob jemand dazugehört? Oder ist es die Frage, wo jemand studiert oder Examen gemacht hat?

Gerade gibt es ja wieder die Debatte, wie gut es um die Chancengleichheit für Landeskinder steht. Wobei als Landeskind für viele durchaus der Chemnitzer zählt, während der Coburger nicht in diese Kategorie fällt. Und das selbst dann, wenn er nach 1989 erst geboren wurde.

Eine Frau in Erfurt hat das Thema gut auf den Punkt gebracht, als sie bei einer öffentlichen Ost-West-Debatte fragte: Was bin ich eigentlich für Sie? Sie war nach dem Abitur nach Thüringen gekommen – und geblieben. Für manche sind selbst ihre Kinder keine „reinrassigen“ Einheimischen. Sondern eher Thüringer mit Migrationshintergrund. Ziemlich verrückt das Ganze. Und ein spannendes Thema. Es fragt sich nur: Wer braucht diese Schubladen? Und: Warum?

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