Gerlinde Sommer über das Glücklichsein.

Liebe Leserinnen,
liebe Leser!

Jüngst hatte ich Ines Geipel in Weimar getroffen – und es stand schon fest, dass wir vor ihrer Lesung in Jena nächste Woche etwas über ihre Sicht auf die ostdeutsche Vergangenheit und den heutigen Blick darauf veröffentlichen würden. Jetzt rückt Ines Geipel auch noch über den Bundestagspräsidenten in den Fokus: Beim Neujahrsempfang des MDR in Leipzig war Wolfgang Schäuble am 27. Januar abends als Redner gefragt. Und in seiner durchaus provokativen Art hielt er nicht nur eine Festrede zu 30 Jahre Einheit, die er ja selbst maßgeblich mit auf den Weg gebracht hatte. Er hielt auch einem Teil der Festgemeinde aus dem Einzugsgebiet des Senders einen Spiegel vor – und natürlich auch denen, die vom Osten nichts wissen wollen und sich daher mit ihrer Negativ-Meinung besonders leicht tun.

Jedenfalls verwies Schäuble auf Geipel und machte sich ihre Frage „Wo bleibt die ostdeutsche Glückserzählung?“ zu eigen.

Das mit dem Glück ist ja ganz merkwürdig: Viele Menschen sind durchaus glücklich, wenn nicht gar zufrieden mit ihrem Sein. Sie meinen aber, dass die generelle Lage viel schlechter sei. Und das macht sie dann selbst einigermaßen unzufrieden...

Das Glück des Einzelnen in seiner gesellschaftlichen Summe ist durchaus für jene als Bedrohung zu verstehen, die ihren politischen Erfolg auf das Missvergnügen einer breiteren Bürgerschaft bauen. Wenn die Menschen zufrieden mit der Gegenwart sind, aber dennoch erwartungsfroh und tatkräftig auf die Zukunft blicken, lässt sich auch mit größerer Gelassenheit auf die Vergangenheit schauen. Und dann fällt die Bewertung dessen, was 1989/90 geschafft wurde, womöglich gar nicht so schlecht aus – trotz der Jahre danach, die einige Bitterkeit mit sich brachten. Glücklich ist nicht, wer vergisst. Glücklich ist, wer Glück zulässt – auch im Nachhinein.

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