Gerlinde Sommer über Impfangebote und “Verfolgte“ im Autokorso.

Liebe Leserinnen, liebe Leser!

Jüngst hat mir ein Bekannter erzählt, dass er jetzt einen Impftermin erhalten habe. Ich hielt ihn – knapp unter 60 und offenbar bei bester Gesundheit – eigentlich für jemand, der noch nicht an der Reihe ist. Er habe sich, sagte er, nicht vorgedrängt. Aber da sei ein Termin frei gewesen, den er nun bald wahrnehmen dürfe. Schön und gut, zumal er wohl angab, sich um seine Mutter zu kümmern, die bei einem fast 60-Jährigen naturgemäß nicht mehr die Jüngste ist. Andererseits ist die Frau auch noch einigermaßen rüstig und bereits selbst geimpft.

Wir leben in einer denkwürdigen Zeit, in der sich die einen freuen, wenn sie durch eine kleine Übertreibung bei der Hilfestellung für Dritte bald einen Impftermin erhalten, während die anderen sich von der bloßen Vorstellung, auch ihnen könnte ein Impfangebot gemacht werden, verfolgt sehen. Und bei Verfolgung denken sie an ihre marginalen Kenntnisse deutscher Geschichte – und das geht dann nicht nur schief, sondern leider oft geistig in die Irre. Das sind nicht die beiden natürlichen Ende einer selbstverständlichen Bandbreite. Das leichte Vordrängeln ist so harmlos und typisch wie das Belegen von Sonnenliegen mit Badetüchern. Und das andere? Ist das andere. Und hat womöglich jetzt im Autokorso seine eigentliche Form gefunden. Es bildet sich eine Gemeinschaft, die sich hupend durch die Straßen bewegt – und dabei bleibt doch jeder in seinem Fahrzeug für sich. Kommt so die Gesellschaft voran? Nun: Nicht jede Bewegung bedeutet Fortschritt.